Der
ewig dunkle Traum
Wofgang
Hohlbeins Schattenchronik Bd.1
Hrsg.
von Alisha Bionda und Michael Borlik
Blitz
Verlag 2005
ISBN
3-89840-351-3
Preis:
9,95 Euro
Immer
wieder hat man zu verschiedenen Zeiten versucht, Sinngebungen
vorzunehmen. Phänomene, Vorgänge, die uns im täglichen
Leben begegnen, zu deuten, sie in einen Zusammenhang zu bringen. So
wird die Welt besonders in der christlicher Tradition des Barock als
stürmische See gesehen, als Ort der 'Bewährung' für
den einzelnen. Am Ende steht nach vielen Widrigkeiten die Einfahrt in
den 'Hafen'. Eine Belohnung für die Mühen liegt
möglicherweise im Jenseits. Angenommen wird eine höhere
Gerechtigkeit.
Nichts davon in den 'Schattenwelten', wie sie
als Folie für die Geschichten in der Anthologie 'Der ewig dunkle
Traum' dienen. In dieser Welt fühlen sich Wesen wohl, die Freude
am Töten anderer haben: Vampire. Es ist eine Welt, in der
Grauen, Horror, Not vorherrscht.
Not? Weniger im materiellen
als im existentiellen Sinn.
Die Protagonisten leben häufig
in 'besseren' Kreisen. Mit Vorliebe in Adelskreisen. Im 'Das
Nachtbuch' (Eddie M.Angerhuber) wird 'roter Wein' im 'Licht der
Kerzen' serviert. In 'Schattenchronik- der ewig dunkle Traum'
(Wolfgang Hohlbein) steht das Haus Dilaras in vornehmer Gegend, bei
Marc Alister E..-E. handelt es sich bei der Protagonistin um eine
Königin. Mumien-Auswickel-Partys in 'Schattentrinker' (Linda
Budinger) können nur in exzentrischen Kreisen stattfinden, die
sich um den Überlebenskampf nicht zu kümmern brauchen
etc.
Die Sprache passt sich diesen Gegebenheiten an. Keine
Experimente, selten abgebrochene Satzteile. In der Regel fließen
die Sätze in 'altem' Stil. Auch die traditionelle
Rechtschreibung, überhaupt die äußere Gestaltung,
alles passt sich der vornehm- düsteren Welt, in der Vampire
agieren, an.
Variiert werden die typischen Vampirmotive :
Blut saugende 'Untote', die Jagd machen auf Menschen- meist sehr
junge Mädchen. Gelegentlich erfolgt eine Umwandlung von Menschen
in Vampire nach festen Regeln der 'Unterwelt'.. Am ungebrochensten
kommen diese Elemente in Michael Borliks 'Engel der Nacht' vor.
Interessanter sind sublimere Formen. Formen, die
beispielsweise in einem Zwischenbereich zwischen Wirklichkeit und
Traum spielen. So ist sich 'Dilara' bei Wolfgang Hohlbein (s.o.)
nicht sicher, ob es sich bei dem Erlebten um Alpträume handelt.
Die Spannung besteht im langsamen Weg des Erkennens bei
gleichzeitigen Fluchttendenzen. Flucht aus der phantastisch düsteren
grausigen Welt, die trotz allem Widerstand auch eine gewisse
unübersehbare Anziehungskraft auf die Heldin besitzt.
Den
sublimeren Formen ist auch Alisha Biondas Erzählung zuzurechnen:
Bei 'Seelenpfand' fehlt der Biss in die Halsschlagader des anderen;
das 'Aussaugen' erfolgt auf subtilere Art. Die Handelnden, zwei
Liebende, haben das Gefühl des Ausgeliefert-Seins. Sie sehen
sich jeweils als Marionette des anderen. Beide möchten aus der
Beziehung ausbrechen. Fast hat man den Eindruck, dass die Autorin
dieser Geschichte etwas aus dem wirklichen Leben eingehaucht habe.
Die Liebenden leben wirklich, sind also nicht halbtot oder
scheinlebend. Und als Lebende haben sie eine Chance, vielleicht
anders als man es von Vampiren gewohnt ist.
Deutlicher als bei
den anderen Geschichten der Anthologie wird bei 'Seelenpfand' das
Vampirprinzip zum Lebensprinzip von realen Menschen: Wie der eine
sich am Leben erhält, indem er sich anderes Leben in gewisser
Weise einverleibt, dies wird an Protagonisten demonstriert, die im
Hier und Jetzt leben, und die nicht die Verfremdung zu typischen
Vampiren über sich ergehen lassen mussten.
Die Welt der
'Schattenchronik' Bd1 ist mit wenigen Ausnahmen in der Vergangenheit
angesiedelt, einschließlich Altägyptens. Mumien haben an
sich schon etwas Grausiges, um so mehr, wenn der Vorgang des
Einbalsamierens aus der Sicht des Toten beschrieben wird - zwischen
Hoffen und langsam sicher werdender Gewissheit der Königin
(siehe oben), dass es sich bei den Handlungen der Priester nicht um
lebenserhaltende Maßnahmen handelt. (Marc Alastor E.-E.). Oder
wenn die auszuwickelnde Mumie bei den 'Auswickelpartys' auf bestimmte
Mittel eines Gelehrten so reagiert wie erwartet oder auch wieder
nicht erwartet: Sie wird wieder zum Leben erweckt und reagiert auf
nicht vorhersehbare und vor allem nicht erwünschte Weise.
Es
kommt auch vor, dass Vampire in unserer Welt agieren, sich wie in der
Geschichte von Markus Heitz in 'Ein besonderer Geschmack' moderner
Technologie bedienen, das heißt wissen, wie man mit Internet,
Mails umzugehen hat. Das ist interessant zu lesen, hat Witz. Aber man
hat doch den Eindruck, dass sie 'fremd' gehen, nicht so recht in die
Netz-Gemeinschaft gehören.
Anders wenn das Phantastische,
Groteske auf eigentümliche Weise in unsere Welt eindringt, wie
dies am ehesten in 'Vergnügungspark' von Armin Rößler
oder auch in 'Die Stadt am Fluß' von Frank H. Haubold greifbar
ist.
Fast Alltägliches - ein Vergnügungspark als
Ablenkung an einem arbeitsfreien Tag aufgesucht- geht kafkaesk in
einen nicht mehr begreifbaren Alptraum über..
In 'Die
Stadt am Fluß' verwandelt sich eine normale Kleinstadt nach
Jahren in einen Raum, wo 'trust in the night' möglich ist. Das
Strandbad verrottet in kniehohem Unkraut. Brennnesseln, Disteln, die
Umkleideräume mutieren zur Ruine. Alles in der Stadt, die der
Protagonist nach Jahren wieder aufsucht, ist fremd und bekannt
zugleich. Erklärungsversuche erweisen sich als sinnlos. So wenn
die jung gebliebene 'Erste Liebe' in einem Tunnel am Straßenrand
steht und als Anhalterin mitgenommen werden will.
Langsam,
kaum wahrnehmbar wie in 'Die Stadt am Fluß' - oder auch
plötzlich wie in 'Vergnügungspark' wächst
Phantastisches in den normalen Raum hinein.
In einen Raum, in
dem - bezogen auf nahezu alle Geschichten - bekannte moralische
Gesetzmäßigkeiten, Vorstellungen von Recht und Ordnung,
Lohn für sozialen Einsatz u. ä. nicht mehr gelten. Bleibt
man als Leser ratlos zurück, wenn in 'Die Nahrung der Toten'
(Barbara Büchner) das Opfer einer jungen Frau für ihren
toten Geliebten einem grausigen Ende zugeführt wird? Oder wenn
der Lehrer, der dem unheimlich 'Wispernden' im Auftrag von
Dorfbewohnern nachgeht, das Abenteuer nicht ehrenvoll beendet,
sondern am Ende das Leben verliert (Dominik Irtenkauf & Javier
Hurtado:'Trauerflug aus dem Süden').
Dominik Irtenkauf
weist in dem lesenswerten Essay am Ende der Sammlung auf Nietzsche
hin, der von Gut und Böse als altem Wahn spricht. Auf jeden Fall
trifft dies, wie zu sehen war, auf die Vampirwelt zu, wie sie uns
unter anderem in dieser Sammlung vorliegt.
Von der ersten
Erzählung mit dem Titel 'The Vampyre'(1819) ' zu Unrecht Lord
Byron zugeschrieben - die den Vampir-Aberglauben mit suggestiv
erotischen Zügen versetzt, bis zu den heutigen Vampiren ist es
ein langer variationsreicher Weg. Ein Variationsreichtum, der gerade
auch in dieser Anthologie zur Geltung kommt.
Die Sammlung
zeigt, welche unglaublich vielfältigen Möglichkeiten
gestalterischer Art- bezogen auf die Darstellung seelischer Prozesse,
existentieller Not, unheimlich grotesker Atmosphäre im Vampir-
Mythos enthalten ist.
In
Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik Bd.1 haben die Herausgeber Alisha
Bionda und Michael Borlik somit eine ungewöhnliche Sammlung von
Vampirerzählungen zusammengestellt.
Ungewöhnlich auch,
was die äußere Aufmachung angeht. Das Cover stellt eine
Schatulle dar mit ‚alten' Beschlägen, mit Rissen und einem
geflügelten Wesen. Geflügelte Wesen breiten sich auch im
Innern des Buches aus, jede Geschichte wird mit einer die jeweilige
Handlung charakterisierenden Zeichnung von Pat Hachfeld eingeleitet,
die wesentliche Motive/ Aussagen der Erzählung künstlerisch
umsetzt.
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