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Der Schattenhändler
Ilka Hoffmann


Auf seltsame nie geklärte Weise verliert Theo C. seinen Schatten. Ebenso wie Peter Schlemihl bei Adalbert von Chamisso gerät er bedingt durch den Schattenverlust in die soziale Isolation. Die Szene, in der Theo in vollem Licht vor weißer Wand schonungslos den Blicken seiner Kollegen ausgesetzt ist, wird man als Leser so leicht nicht vergessen. Scham, Verzweiflung sind die Folge. Scham, obwohl  schuldhaftes Verhalten nicht festzustellen ist.
Erst die klosterähnliche Gemeinschaft mit den ‚Dunkelmännern‘, die übrigens keineswegs nur aus Männern besteht, gibt ihm die innere Ruhe wieder. Er beteiligt sich an einer Mission, die nichts geringeres als die Rettung der Menschheit vor dem nächsten geplanten Krieg zum Ziel hat.

Die Verfasserin greift auf bekannte Motive vor allem aus der phantastischen Literatur zurück, gestaltet sie aus oder gibt ihnen eine völlig neue Bedeutung.
So fühlt man sich bei der Schattenregistrierstelle an Kafkas  ‚Prozeß‘ erinnert. Die Schattenlosigkeit selbst, die allerdings anders als bei Chamisso nicht auf einen Handel, also auf eine bewußte Aktion zurückgeht, läßt, wie gesagt, an Peter Schlemihls Schicksal denken.
Als der Protagonist sich allerdings im Tauschhandel um einen Schatten de ‚Luxe‘ zur Denunziation verpflichtet, geht Theo wie Peter Schlemihl auf  einen einigermaßen fragwürdigen Handel ein.
Eine völlig neue Bedeutung erhält der in der Vampir – Literaturszene geläufige Satanskult. Zwar bleibt das sexuelle Moment bestehen, aber die Gemeinschaft der Dunkelmänner, die die Satansmesse zelebriert, fühlt sich für die Erhaltung des Friedens verantwortlich, will die Weltenwaage zuungunsten des Bösen belasten.
Wie erhält man Auskunft darüber, worin das ‚Böse‘ besteht? Oft belasten gerade die, die vorgeben, das Böse zu bekämpfen, die Waage zugunsten des Bösen. Am eindrucksvollsten ist für mich die Hetzrede eines mittelalterlichen Predigers gegen die ‚Weiber‘, die die Atmosphäre für eine geplante Hexenverbrennung anheizt. Somit könnte man sagen, das ‚Böse‘ besteht in Vorurteilen, die zur gesellschaftlichen Norm geworden sind.

Peter Schlemihl kauft Siebenmeilenstiefel und reist mit ihnen um die Erde, Theo C verfügt über eine Notfalluhr, mit deren Hilfe er in der Lage ist, Zeitreisen zu unternehmen. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft: Immer wieder geht es in menschlichen Gesellschaften um die Einhaltung von Normen, die rücksichtslos, zum Teil brutal eingefordert werden. Gibt es Möglichkeiten, das Ruder herum zu werfen?
Wer, wenn nicht die von Vorurteilen betroffenen, haben ein Interesse an Veränderungen?
 

Die  Schattenlosigkeit, Zeichen für das Ab- norme überhaupt,  stellt somit eine Chance dar, gegen den Strom zu schwimmen. Der Protagonist lebt nicht nur- zunächst gezwungenermaßen, dann freiwillig mit Unterstützung der Gruppe der Dunkelmänner-  gegen den Strom, sondern schreibt auch, um sich zu vergewissern, um Klarheit zu bekommen über sich, über die Ereignisse, über seine Gefühle in Tagebuchform gegen eine Normalität, die humanes Leben auszuschließen droht. Der nachdenkliche, zum Nachdenken anregende Grundton ist nicht zu übersehen.
Manchmal hat jedoch alles trotz des spürbaren Ernstes spielerischen Charakter. So, wenn die Zeiten durcheinander gewirbelt werden, skurrile Schnittstellen entstehen. Theo C. benutzt beispielsweise ein Fluggerät aus der Zukunft, um seine als Hexe verurteilte Freundin im Jahr 1485  kurz vor dem Sturz ins Feuer zu retten. Über die Interpretation dieses Ereignisses durch die Zeitgenossen liest er in einem Archiv der Gegenwart, daß der ‚Leibhaftige‘ vor den Augen der Menge die Hexe entführt habe.
Theo C. gelingt es schließlich, alle seine Aufzeichnungen – zum Teil kaum lesbar- in seinen Laptop zu tippen. Zum Vorteil für alle Leser, die bereit sind, sich in eine fremde und gleichzeitig  bekannte, gedeutete, umgedeutete spannende mit  greifbaren Einzelheiten versehene Welt entführen zu lassen.

 
Wiesenburg-Verlag Schweinfurt 2005
ISBN 3-937101-50-0
18.80 Euro