WIE KOMMT DAS SCHWEIN IN
DIE KIRCHE?
Von Marec Béla
Steffens
Es war einmal ein kleines
Schweinchen, das wollte gern in die Kirche gehen. Aber der Pfarrer
ließ es nicht herein! Er sagte, Schweine hätten in der
Kirche nichts zu suchen. Das Schweinchen erklärte, es wolle in der
Kirche eigentlich gar nichts suchen, sondern sich nur still hinsetzen
und die Predigt hören. Aber der Pfarrer rief: „Für Schweine
predige ich nicht!" und schlug dem armen Schweinchen die große
Kirchentür vor der Nase zu.
Da fragte das kleine Schweinchen den
großen Löwen, wie es in die Kirche kommen könnte. Aber
der Löwe ging nicht in die Kirche, er wartete, bis die Missionare
zu ihm kamen. Er stand mitten auf dem Platz auf einem Podest und
knurrte immer, wenn jemand mit einer Plastiktüte von Kaiser's dort
vorbeikam. Und die kaiserlichen Plastiktüten riefen dann:
„Heinrich, mir graut vor dir", wenn sie den Löwen sahen.
Außerdem hatte der Löwe eine Vorliebe für ganz
merkwürdige südländische Biersorten. Von ihm konnte das
Schweinchen keine Hilfe erwarten.
Da kam aber die Kirchenmaus vorbei.
Sie ging gerade auf den Markt, um Käse zu kaufen. Das Schweinchen
klagte der Maus sein Leid. – „Ja, was der Pfarrer da ge macht hat, das
ist wirklich eine –" Schweinerei, hatte die Kirchenmaus sagen wollen,
aber sie konnte das gerade noch vermeiden. Aber wie nennt man das, wenn
ein Pfarrer so etwas macht? „Das ist wirklich eine, äh – Pfarrei!"
rief die Maus plötzlich laut.
„Du willst mir helfen?" fragte das
Schweinchen und wackelte mit seinem Ringelschwänzchen. – „Nichts
einfacher als das", sagte die Kirchenmaus, und führte das
Schweinchen zu der großen Kirchentür. Darinnen war
nämlich eine kleine Kir chen mäusetür. Aber so klein das
kleine Schweinchen auch war, für die Tür der Kirchen
mäuse war es doch zu groß.
Da blieb das kleine Schweinchen vor
der großen Kirchentür stehen und weinte. Sein
Ringelschwänzchen hing ganz traurig herunter. Aber die Kirchenmaus
steckte noch einmal das Köpfchen zur Tür heraus und sagte:
„Ich überlege mir etwas. Ich bin zwar nur eine einfache
Kirchenmaus, aber ich will dir helfen." Und es trug diesen Fall der
Oberkirchenmaus vor. Und die Oberkirchenmaus ging damit zum
Oberkirchenmausrat.
Der überlegte sich die Sache
lange und gründlich. Er schlug auch viele Stellen in der Bibel
nach. Danach setzte er sich in seinem Oberkirchenmausrats-Mauseloch
(dritte Altarstufe links) an die Schreibmaschine und schrieb ein
Gutachten. Damit schickte er die Kirchenmaus zu dem kleinen Schweinchen.
Das Schweinchen las also nun das
theologische Gutachten. Im mosaischen Gesetz steht, führte der
Oberkirchenmausrat aus, man solle kein Schweinefleisch essen. Aber in
der Bibel steht nirgendwo, daß Schweine nicht in die Kirche
kommen dürften. „Na also!" rief unser Schweinchen und lief mit dem
Gutachten gleich zum Pfarrer. Der hatte große Mühe damit,
die kleine Mäuseschrift zu lesen. Und er schimpfte: „Bei der
Petrikirche kräht kein Hahn danach, wieviele Fische da immer
hineingehen, aber hier bei mir herrscht Ordnung. Ich dulde keine
Schweine in meiner Kirche!" – „Aber das Gutachten", warf das
Schweinchen schüchtern ein. Darauf hieb der Pfarrer mit der Faust
auf den Tisch und sagte, was in diesem Gutachten stehe, das sei ihm
Wurst!
Bei diesem Wort lief es dem
Schweinchen kalt den Rücken herunter, und es suchte das Weite. Mit
der Kirchenmaus beriet es, ob es vielleicht nach Assisi pilgern solle.
Aber der Weg war weit, und in den Legenden vom Heiligen Franziskus war
viel von Rehen und Vögelchen die Rede, aber nie von Schweinen.
Vielleicht würde sich das kleine Schweinchen ganz umsonst auf den
langen, mühsamen Weg machen? Da blieb es lieber, wo es war.
Inzwischen war der November
gekommen, und mit ihm starke Herbststürme. Eines Sonntags war das
Wetter ganz besonders schauderhaft. „Heute brauchst du gar nicht zur
Kirche zu gehen, um die Tür aufzusperren", sagte die Frau des
Küsters zu ihrem Mann. „Bei diesem furchtbaren Wetter kommt
bestimmt kein Schwein in die Kirche." – „Das werden wir ja sehen",
sagte der Küster und stand doch auf, denn er war sehr
pflichtbewußt.
Und tatsächlich kamen viele
Leute zum Gottesdienst. Der Pfarrer wollte heute über das
Gleichnis vom verlorenen Sohn predigen. Und da fing er schon an, den
Pre digttext vorzulesen, aus Lukas, Kapitel 15: „Ein Mensch hatte zwei
Söhne." Er kam zu dem Satz: „Der schickte ihn auf seinen Acker, um
die –" Da konnte der Pfarrer nicht weiterlesen, denn da, wo es
weitergehen sollte, war ein großes Loch. Der Pfarrer schaute die
Vorsitzende des Kirchenvorstands an, die schaute den stellvertretenden
Vorsitzenden an, und so weiter den ganzen Kirchenvorstand hindurch, bis
endlich einer den Küster anschaute.
„Es ist nämlich so, Herr
Pfarrer", sagte der, „Sie haben doch gesagt, was sie nicht in der
Kirche haben wollen. Allen haben Sie es gesagt, was Sie nicht in der
Kirche dulden werden. Es ist eine dienstliche Anweisung, haben Sie
gesagt. Und danach habe ich mich gerichtet." – „Unsinn, Küster.
Laufen Sie schnell in meine Amtswohnung und holen Sie von dort eine
andere Bibel. Aber eine ohne Löcher!" rief der Pfarrer und schaute
dabei die Kirchenmaus streng an, obwohl die doch wirklich nichts
dafür konnte. Wenn es auch in ihrer Verwandtschaft mal so einen
Fall gegeben haben soll.
Jedenfalls war die Gemeinde schon
unruhig geworden, als der Gottesdienst so ins Stocken gekommen war. Der
Küster beeilte sich, und als er die große Kirchentür
aufmachte, was kam ihm da entgegen? Das kleine Schweinchen! Die
Kirchenmäuse hatten ihm gesagt, was die Frau des Küsters am
Morgen gesagt hatte. Und so lief das Schweinchen mit hoch erhobenem
Ringelschwänzchen in die Kirche hinein.
„Ist das aber süß!"
riefen die Leute. Und dann verstanden sie plötzlich: „Der schickte
ihn auf seinen Acker, um die Schweine zu hüten!" Ja, darum ging es
dem Pfarrer. Nach dem Gottesdienst gingen viele zum Pfarrer und
gratulierten ihm. Seine Predigten seien zwar schon so manches Mal gut
gewesen, aber so lebendig wie heute hätte er noch nie gepredigt.
Da konnte der Pfarrer dem kleinen
Schweinchen nicht mehr böse sein. Er zeigte ihm die ganze Kirche.
Der Organist spielte sogar „Alle meine Entchen", denn das war das
Lieblingslied des kleinen Schweinchens. Das Köpfchen steckte es
zwar nur ungern ins Wasser, aber bei „Schwänzchen in die
Höh‘!" machte es immer begeistert mit. Die Kirchenmaus
natürlich auch.
Von jetzt an durfte das kleine
Schweinchen jeden Sonntag zum Gottesdienst kommen. Schon bald konnte es
die meisten Lieder auswendig. Spirituals und Gospels mochte das
Schweinchen besonders. Die Mäuse mochten Richard Strauss lieber,
das beruhte auf Gegenseitigkeit. Nur hatte der kaum Kirchenmusik
geschrieben.
Jedenfalls freuten sich alle
Gemeindemitglieder, wenn sie das kleine Schweinchen sahen. Ein
Kirchenvorstandsmitglied kam aus Schwaben und sagte immer: „Mei lieb's
Säule".
Die Kirche mußten sie
übrigens zu dieser Zeit gerade umbauen. Ein paar Pfeiler waren
baufällig geworden. Für die Bauarbeiten war gerade der
Schwabe im Kirchenvorstand zuständig. Er sprach mit dem
Architekten viel über Pfeiler und Säule, und immer, wenn das
Schweinchen vorbeikam, sagte er „mei lieb's Säule" und streichelte
das Ringelschwänzchen.
„Ja, natürlich", sagte der
Architekt, „ich habe verstanden, Herr Kirchenvorstand. Ich werde die
Pläne entsprechend ändern lassen. Ich verstehe, daß der
Gemeinde sehr viel daran liegt." Und so kam es. Der Architekt
ließ die Säulen so bauen, daß sie so geringelt waren
wie das Schwänzchen von dem kleinen Schweinchen. Und wer es nicht
glaubt, der muß nach Braunschweig fahren und im Dom selbst
nachsehen!
aus: Marec Béla Steffens, "Der
Straßenbahnschaffner von Venedig", Ahlhorn:
Geest-Verlag 2001, DM 18,40; zu bestellen im Buchhandel (ISBN
3-934852-55-6)
oder portofrei unter www.geest-verlag.de
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www.lesebuch.net/aktuelles/autoren/text-steffens.htm,
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