Regina Schleheck Norbert
Sternmut: Nachtlichter Lyrik
gilt zu Recht als die subjektivste der literarischen Gattungen – im
doppelten
Sinn: der Autor kann hier tief in innersten Gefühlen und Gedanken
gründeln, sie
verdichten, gestalten, verschlüsseln, während es dem Leser frei steht,
das
Ergebnis an ganz ureigene Erfahrungen und Fantasien anzudocken,
staunend
innezuhalten, verständnislos den Kopf zu schütteln oder sich
gleichgültig
abzuwenden. Mehr als jede andere literarische Form muss das Gedicht uns
„etwas
sagen“, uns zusagen, zu uns sprechen. Was wir allerdings dazutun
müssen: uns
darauf einlassen. Seit
über einem Vierteljahrhundert veröffentlicht Norbert Sternmut, 1958 als
Norbert
Schmidt in Stuttgart geboren, Kurzprosa, Romane, Dramen, und immer
wieder
Lyrik. Der Anfang dieses Jahres im POP Verlag Ludwigsburg erschienene
Titel „Nachtlichter“ ist sein
vierzehnter Gedichtband und enthält 92 Wortkunststücke – vom Fünfzeiler
bis zum
Dreiunddreißigzeiler – , in ihrer thematischen Fülle schwer
eingrenzbar, die
aber ein Grundton verbindet, ein Suchen, das in seiner Vehemenz
unterschiedlich
ausgeprägt ist: vom Wüten, vom erbitterten Ringen bis hin zum
melancholisch-resignativen Klagen, aber es gibt auch die Momente, in
denen ein
Licht der Hoffnung, der Erfüllung oder der Erkenntnis aufblitzt. Am
augenfälligsten ist diese Ambivalenz in den Gedichten, die von Liebe
sprechen
und von der Vergänglichkeit erzählen. So in „Alte Liebe“ (S.16),
„Bolero“
(S.83), „Löwenbrunnen, wasserspeiend“ (S.73), „Sonnenuntergang“ (S.55)
oder
„“Pochender Puls“ (S.54), sich aber auch in ironisch-spielerischer
Leichtigkeit
dem Thema nähern können: „Ich seh ihre Auge, seh ihre Lippen Die Haare
gehalten
von … Zwei goldenen Spangen … dummdideldei“ in „Gen Süden“ (S.62).
Leichtigkeit, gepaart mit staunender Ernsthaftigkeit, begegnet uns auch
in der
Betrachtung des „Wombat“ (S.32). Dennoch: nur wenige der Gedichte sind
leichte
Kost. Das lyrische Ich ist auf der Suche, der ewigen Suche nach
„N(ICH)T“
(S.43): „Wer ist ich“, lautet der erste Vers in „Lichtschranken“
(S.68). Es ist
eine schmerzhafte Suche: „Die innere Welt, ausgelotet, Ich und Es, den
Angstkern gesprengt, Der aus der Mutter sprach ...“ heißt es in
„Bewusst, wie“
(S.48). Die Verletzungen der Kindheit werden mehrfach thematisiert, so
in
„Abgeschrieben“ (S.31), in „Im Kindheitskeller“ (S.70) oder auch
vermittelt in
„Jenseits von Edenkoben“ (S.78). Immer wieder wird das Ringen um den
Glauben,
um Erkenntnis spürbar, etwa in „In den Gehörgängen“ (S.76) oder „Im
Kirchengestühl“ (S.13), aber auch die Schwierigkeit ihn zu leben: „Auch
ich
sah: Uns angekettet, im Warenhaus des Alltags“. Gegen die
Oberflächlichkeit,
den Trug im „Maskenland“, wo der Schein „Fassadenfilz“ trügt, spricht
sich
„Eigenblut“ (S.33) aus. Als Warnung vor dem medialen Suchtpotential
kann wohl
„Ins Netz gestellt“ (S.24) und vor der resultierenden Verblödung
„Sumpfdotterdämmerung“ (S.79) verstanden werden, wo gegen den
„täglichen
Hirnmüll auf den Schirmen“ gewettert wird. Gegen den Krieg richtet
sich: „Und
jemand spielt“ (S.56), wohingegen das „Endgedicht“ (S.99) versöhnlich
Liebe als
Gegenrezept empfiehlt: „Auf Schlachtfeldern und in Gedanken, Macht
Liebe, wo
wir uns finden In den Steppen und den Wüsten, Macht es den
Kriegstreibern vor“. Hart
zur Sache geht es in den Gedichten, die von Krankheit und Tod sprechen:
„Blendwerk des Sterbenden“ (S.25), „Endlich“ (S.44) oder auch in
„Schlingen,
sief“ (S.86). Mein persönlicher Favorit ist dabei „Krebsgänge,
vermessen“
(S.17), wo Wut und Ohnmacht aus dem „Seelenmüll in weißen Laken“
sprechen, aber
gleichzeitig auch der unbändige Lebenswille: „Doch ich Gesundete, ging
hinaus
und schrieb, schreibe noch immer: Ein Nadelgewächs des Bewusstseins,
sternmutig.“ Hier hinterlässt Norbert Sternmut seine ganz persönliche
metaphorische Signatur und spricht aus, was ihn antreibt, offenbart im
Bild des
Nadelgewächses auch das Wie: er piekst in unser Bewusstsein, hält uns
wach,
fordert uns mit seinen Bildern, mutet uns etwas zu. Aber er gibt uns
auch viel,
nicht zuletzt so wunderbare Wortschöpfungen wie in „Über die Feldkrume“
(S.9):
„Auf der Startbahn Bewegt sich niemand sinnwärts, über den Salbenstrang
der
Vorstellung, Verwesung, die in uns wohnt Als Untermieter in der
Magengegend,
Herzarterie, Darmschlinge, Bevor wir wegfinstern, Abherzen, aushalsen,
Entzeiten, abkreuzen.“ Das
Wie, die Form, in die Sternmuts Gedanken gegossen werden, macht das
Ringen
doppelt anschaulich, denn auch die Worte sind ambivalent, rätselhaft,
sperren
sich dem unmittelbaren Verständnis, was insbesondere in den Gedichten
zur
Sprache gebracht wird, in denen es um das Ringen um Worte, um das
Verstehen, um
Verständigung geht: In „Ins Wort gefallen“ (S.60) oder in „Eingesperrt
im
Kohlenkeller“ (S.90). In „Mit anderen Worten“ (S.8) heißt es: „Eine
Sprache,
ein anderes Wort für Dornengestrüpp“, oder in „Wortlesung“ (S.45): „Man
will
verstehen, was gesagt wird Zwischen den Zeilen, wird es hell, finster,
hell
Schweifen die Blicke, greifen die Sätze Den Raum, die Worte Der
Sprachschatten
… Die leere Sprachkuppel“. Die Metapher „sprachschattig“ findet sich
wieder in
„Lebenswerk“ (S.37) und „Sprachschatten“ ist auch der Titel eines
Gedichtbands,
den Sternmut 1989 veröffentlichte. Wo Licht ist, ist auch Schatten.
Worte
können erhellen und verdunkeln. Und dennoch: „Rede, rede über das
Dasein“, fügt
Sternmut in Klammern an in „Sumpfdotterdämmerung“ (S.79). Sein
persönliches
Überlebensmotto, das er uns allen mit den besten Wünschen ans Herz
legt: „Eine
Krume Licht“ (S.98): „Wünsche ich den Spielenden, Der Stadt und dem
Land Und
dem Obdachlosen der Platte, Noch meinem ärgsten Feind. Eine Krume Licht
wünsche
ich euch. Und den Mut aus dem Stern In der Nacht der Erschütterung,
Jeder
Kreatur unter der Sonne, Jedem der unsrigen, die hier Verweilen,
solange es
geht.“ Den Sternmut, aus der Verzweiflung geboren, aber immer dem Licht
entgegen strebend, und sei es noch so klein. Dem
Wunsch, dass Sternmuts Lyrikband dies dem ein oder anderen zu
vermitteln
gelingt, kann ich mich nur anschließen. Regina
Schleheck, 26. Mai 2010 |