zurück Rezension: Norbert Sternmut
„AUSGELOTET“ Marlies Eifert/ Georg Grimm- Eifert ISBN 3-937101-16-0 16,00 Euro Wiesenburg Verlag 2004 „Ausgelotet“ – fiktive Briefe. Ein neues Buch des Autoren-Ehepaares Marlies Eifert und Georg Grimm-Eifert. Die Nähe zu „Echolot“ von Kempowski wird sinngemäß angedeutet. Es handelt sich um ein Buch mit Briefen. In der Vorbemerkung wird erklärt, dass es sich um „fiktive Rollen“ handelt, die Schreiber und Empfänger einnehmen. Kempowski ist ein Sammler von alten Briefen, Erinnerungen, hat in „Echolot“ ein sprachliches Patchwork der Vergangenheit geschaffen. Hier ist von „fiktiven Briefen“ die Rede, die von den Autoren „ausgedacht“ wurden. Also keine Darstellung der Wirklichkeit? Der Jahre in Briefen, der Nachkriegsjahre bis in die heutige Zeit in Briefen die wirklich geschrieben wurden. Nein, hier werden nicht Briefe aus einer Bevölkerung angefordert, gesammelt und entsprechend verarbeitet, hier wird eine völlig neue Ebene geschaffen. In einer entschlüsselten Sprache, die leicht und angenehm fließt wird uns ein Panorama über die Epochen und die Geschichte geliefert, das aber stets die Frage offen lässt, ob es „wirklich“ war, „wirklich“ ist. Unterschiedliche Themen werden aufgegriffen: Aus den Vorbemerkungen: „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen...“ („Faust1“ Goethe) Hier hatte der alte Goethe mal wieder Recht. Unterschiedliche Briefpartner werden von beiden Autoren angeführt und mit Themen gefüttert: Krieg, Geschichte bis hin zu den Problemen eines Zivis mit den Alten in einem Heim. Was zu letzt wirklich fiktiv ist, kann erahnt werden, inhaltlich kann kaum an der Wirklichkeit gezweifelt werden, sei es bei Informationen zur „Kuba-Krise“ oder der Zerbombung Darmstadts, der Beschreibung der Duftmarken von Katzen oder Katern die sich weit durch das Buch ziehen. Die Jahre, die „Fünfziger“ und die „Sechziger“ und die „Siebziger“ bis zu den „Achtundsechzigern“ und darüber hinaus. Ob es um persönliche Werdegänge geht, um Entwicklungsprozesse, geschichtlich oder persönlich, individuell oder gesellschaftlich. Ob es um die Kunst geht, die Wanderung durch das Museum der Zeit, um Thomas Mann oder Adorno, um Kusenberg oder Arno Schmidt, Gerhard Hauptmann oder Marlies Eifert. Es wird geschrieben: „so weit ich mich erinnere in „Headline“ etwas gelesen, was genau passt. Da hat eine Marlies Eifert einen fiktiven Brief verfasst. Hier ist ein Abzug davon. (Seite 64) Die Autorin tritt selbst namentlich auf. Allerdings nicht als Autorin des Buches, sondern als fremde Person, eher zufällig genannt. Während es diese „Marlies Eifert“ in Wirklichkeit gibt, wie wir wissen. Es kann in „Headline“ in Wirklichkeit nachgelesen werden. Oder in dem Buch aus dem „Geest Verlag“ , den es wirklich gibt, wie wir wissen, wie die Anthologie über Schlüssel und Schlüsselgeschichten, die eindeutig nachgewiesen werden kann und also „wirklich“ ist. Jedenfalls wird gespielt, das ist unverkennbar mit Namen und Rollen, Schlüsseln, wird eine spielerische Ebene geschaffen, die zwischen den Jahren und Ebenen der Wirklichkeit schwankt, die verwendet, was sich ergeben hat, fiktiv oder nicht. Sind die Ansprechpartner fiktiv? Oder gibt es im wirklichen Dasein eine „Frau Strattfurt“? Das ist ein Reiz an diesem Buch, diese Schlüssel zu entschlüsseln, die Frage zu beantworten: was ist fiktiv oder wirklich? Oder: „Haben oder Sein“? von E. Fromm (Seite 102) Hier wird für die „Seinsseite“ plädiert. Auf der anderen Seite: kein revolutionäres Buch, kein Buch, das grundsätzliche neue Wirklichkeiten schafft oder schaffen will. Ein ruhiges Buch. Es geht nicht um „Spannung“ , geht nicht um „Sex and Crime“. Es gibt keine “Schlüsselloch-Peepshow”. Voyeristen werden nicht befriedigt. Leser, die es auf den besonderen Kick, auf Show-Downs und Blutspritzer, Adrenalinspritzen abgesehen haben, werden hier nicht auf ihre Kosten kommen. Wer Symbole sehen will, geheimnisvolle Krämerei, wird hier nichts finden. Und also müssen wir uns fragen, ob es stets „Kicks, Sex and Drugs and Rock and Roll“ sein muss, womöglich mit ordentlichen Metaphern und Symbolen? Hier geht es nicht um „Bier“ – „Social-beat“, bleibt alles im Rahmen, werden wir nicht grundsätzlich auf unserem sonntäglichen Spaziergang gestört. Hier wird deutlich, dass ein Paar gut zusammenarbeiten kann. Auch dies ist bereits ein hoher Wert in dieser Zeit. Es wird deutlich, dass etwas funktioniert, dass es geht, über die Jahre und Jahrzehnte hinweg. „Und mein Kopf dröhnt auch. Wo habe ich nur mein Aspirin“ (Seite 106) Das Buch macht keine grundsätzlichen Kopfschmerzen, ist angenehm zu lesen, fließt wie ein ruhiger Fluss über die Epochen, die Themen muss insgesamt nicht in universitären Veranstaltungen „entschlüsselt“ werden, weil es im Grunde keine Verschlüsselung liefern will. Ich denke insgesamt : ein gelungener Versuch, die Jahre und Jahrzehnte, die Geschichte und die individuellen Eindrücke auf eine Ebene zu bringen. Rückblenden, Einschübe, fiktive Briefe: Gedichte, Schlüssel, „Thomas Mann-Landschaft“. Wir lernen niemals aus. Sollten stets auf die Eindrücke, Gedankenwelten, Erfahrungen, Rückblenden der anderen bauen und darauf unser eigenes Gebäude stützen. Eifert, Grimm-Eifert bieten uns das Gerüst, bieten uns Erfahrungen, Sichtweisen, Schreibweisen, Briefe. Bieten uns eine unaufgeregte Art der Anschauung. Eine abgeklärte Form der Betrachtung. „Es ist die Krankheit, die den Menschen verändert“ (Seite 116 - Zitiert aus „Thomas Mann – Der Zauberberg“) Ich denke, dass wir auch bei der Lektüre dieses Buches nicht unverändert zurück bleiben und spüren, worum es geht. Norbert Sternmut |