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  „AUSGELOTET“ Marlies Eifert/ Georg Grimm- Eifert

ISBN 3-937101-16-0
16,00 Euro
Wiesenburg Verlag 2004



In einer Zeit zunehmender Schnelllebigkeit, Informationsflut, Oberflächlichkeiten, Stress und Globalisierung…

Im neuen Jahrtausend der Telefongespräche, E-Mails, Online-Video-Konferenzen und SMS, frei nach dem Motto: Einfacher, schneller, und vor allem: kürzer, kürzer, kürzer…

In diesen hektischen Tagen haben sich die Autoren Marlies Eifert und Georg Grimm-Eifert niedergesetzt, um im Sturm der fortschreitenden Technologisierung und menschlichen Entfremdung Briefe zu schreiben.

Ein gewagtes Experiment, mag so mancher nun denken. Dem kann der lesende Rezensent jedoch nicht zustimmen. Eine regionale Umfrage im Kreis Stuttgart hat nämlich ergeben, dass 70 % aller Befragten gerne wieder einmal einen Brief bekommen würden. Sogar noch mehr würden einen persönlichen, handgeschriebenen Brief einer mittlerweile gewöhnlichen E-Mail vorziehen.

Die gewählte Briefform in vorliegendem Werk mit dem Titel „Ausgelotet – fiktive Briefe“ spricht den Leser direkt an und oft hat man das Gefühl, die fiktiven Figuren, die überraschend lebendig wirken, würden sich mit einem unterhalten und einfach aus ihrem Leben erzählen.

Sprachlich ausgefeilt und abwechslungsreich, stilistisch sehr gelungen, präsentieren die beiden Autoren eine bunte Mischung faszinierender Geschichten. Treffende Formulierungen regen den Rezensenten zum Nachdenken an.

Die Sprachebene (zum Teil Mundart, Alltagssprache) verleiht den Briefen eine unglaubliche Authenzität. Nicht selten kommt es einem vor, als würde man eine Biografie und nicht etwa fiktive Briefe lesen. Denn die Membran zwischen Realität und Erfundenem ist dünn und zum Teil durchlässig: Immer wieder stolpert man über reale, geschichtliche Daten und Ereignisse, die gekonnt mit einer Prise Fiktion vermengt wurden.

Beim Lesen fällt auf, dass die Geschichten nicht zwanghaft in eine Form gebracht wurden. Die Autoren haben keine Geschichten fabuliert, nur weil sie an gewisse Stellen gepasst hätten. So ist das wirkliche Leben nun einmal nicht, und das Buch scheint eine Projektion dieses Lebens zu sein. Fiktiv, aber doch real…

Ein Beispiel dafür ist die Stelle, an der ein Text von einer gewissen „Marlies Eifert“ zitiert wird, durch deren Auftauchen die Illusion einer erfundenen Welt kurz schwächer wird. Bei dieser gewagten Gradwanderung zwischen Wirklichkeit und Einbildung behalten die Autoren stets die Balance und beweisen ein natürliches Gespür für die richtige Mischung aus Realem und Erfundenem. Ein sehr eindrückliches Leseerlebnis!

Der erste Teil des Buches wird von dem Leitmotiv der „Katze“, bzw. des „Katers“ dominiert. Überhaupt besitzt das Werk einen stark ausgeprägten Symbolismus: Der „Keller“ wird im Krieg zur „Höhle“, die den Versteckten Schutz bietet. Das Bild der „Puppen“ begegnet einem immer wieder im Laufe der Erzählung, als wären es stumme Zeugen einer vergangenen Zeit. Zeitzeugen?

Wenn man die rhetorischen und stilistischen Mittel betrachtet, fällt sofort die „Metafiction“ auf. Ähnlich wie Christa Wolff in „Nachdenken über Christa T.“, aber auch viele andere Autoren der Postmoderne, analysiert einer der insgesamt fünf Verfasser der fiktiven Briefe den eigenen Schreibprozess. Es gibt unzählige Referenzen zu verschiedenen Werken und Künstlern, nicht nur aus dem Feld der „Literatur“, die man grob unter dem Sammelbegriff der  „Intertextualität“ zusammenfassen könnte. Die „Montage“-Struktur aus Briefen, Gedichten, Nachrichtenmeldungen und Prosatexten erinnert an Doblins „Berlin Alexanderplatz“ und unterstützt die Stimmen der Erzähler. 

Die Briefe in „Ausgelotet – fiktive Briefe“ sind chronologisch nicht geordnet. Liest man das Buch von vorne nach hinten, kommt einem der Genuss der Geschichten wie eine Zeitreise vor, da das Erzählte in der Zeit vor und zurück springt. Grundsätzlich könnte man die Briefe in beliebiger Reihenfolge lesen. Das Inhaltsverzeichnis befindet sich am Ende des Buches, was ein stiller Vorschlag der Autoren sein könnte, das Buch von hinten nach vorne zu lesen. In jedem Fall steigert dieser Aufbruch der chronologisch-linearen Erzählordnung das Lesevergnügen immens und sorgt immer wieder für ungeahnte Überraschungsmomente.

Überraschend sind auch die Illustrationen aus der Feder (oder sollte ich sagen: Aus dem Pinsel) von Georg Grimm-Eifert, die das Lesen der Briefe auflockert. Auflockernd wirken auch die kleinen, heiteren Anekdoten und dazwischen geschobenen Geschichten, wie zum Beispiel die Abenteuer des “Little Henry Peel“, die den berühmten Zauberlehrling „Harry P.“ sehr gelungen parodieren.

Doch neben diesen auflockernden Momenten, den humorvollen Alltags-Begebenheiten und den lustigen Tiergeschichten, enthält das Buch auch viele tiefsinnige Gedanken: Es wird vom LEBEN erzählt, mit all seinen Hoch- und Tiefpunkten. Von einer verlorenen Schwester und dem Krieg. Wobei letzteres eher atypisch dargestellt wird. Im Gegensatz zu vielen Kriegs-Schilderungen wird nicht nur die düstere, triste Seite des Lebens während dem Krieg fokussiert, sondern auch die frohen Stunden werden in die Betrachtung miteinbezogen; die kleinen, scheinbar unbedeutenden, aber doch glücklichen Augenblicke des Lebens, die es damals zweifelsohne gab, aber die leider viel zu oft von dem fürchterlichen Grauen und der Dunkelheit der Kriegserfahrung überschattet werden.

Trotz der vermeintlich distanzierten Briefform wurden viele Passagen sehr eindringlich beschrieben und haben einen fast erzählenden Charakter. Hier möchte ich besonders die Erlebnisse eines Briefschreibers während des 2. Weltkriegs in Darmstadt hervorheben, die für mich einen der Höhepunkte des Buchs dargestellt haben.

Das Buch „Ausgelotet – fiktive Briefe“ der Autoren Marlies Eifert und Georg Grimm-Eifert erzählt ein bedeutendes Stück Geschichte. Die historischen Fakten wurden allerdings geschickt mit alltäglichen Szenen, wie zum Beispiel aus dem Leben einer Hausfrau, die unter der sozialen Kontrolle der Gesellschaft leidet, verwoben. Hier und da wird mahnend der Zeigefinger erhoben, aber dann lockert sich die Stimmung auch jedes Mal fast sofort wieder, wenn beispielsweise einer der Briefschreiber eine unterhaltsame Begegnung mit einer so genannten „Ausgeburt“ der modernen Technik zum Besten gibt.

Zusammengefasst ist das Buch eine abwechslungsreiche Mischung aus Lovestory, Kriegs-Berichten, humorvollen, pointierten Alltags-Geschichten, Gedankenaustausch, Nachsinnen und vielem mehr. Innerhalb der Briefe wird über Gott und die Welt geredet - wie man so schön sagt. Es geht um Geschichtliches, Sprache an sich, die Gesundheit, Sprichwörter, Religionen, die Emanzipation der Frau, Vorstädterei, das Alt-Werden und noch viel mehr.

Die Vielschichtigkeit der Themen lässt nicht ein einziges Mal Langeweile aufkommen. Das Buch des eingespielten Autoren-Teams liest sich gewohnt flüssig und kurzweilig. „Ausloten“ bedeutet im übertragenen Sinne ja auch, „etwas bis ins Einzelne feststellen“. Nun, der lesende Rezensent hat festgestellt, dass er sich durch die Lektüre des Buchs durchweg gut unterhalten gefühlt hat.

Timo Bader (www.timo-bader.de)