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Wellensang

Es gibt Menschen, die sehen in der Fantasy nichts anderes als die Flucht in eine irreale Traumwelt. Ist das so? Mitnichten. Fantasy ist viel mehr als das. Fürwahr lädt sie zum Träumen ein und fördert dadurch unsere Kreativität, ist die Geburtsstätte von Bildern – sprachlicher und zeichnerischer Natur –  großer Schöpfungskraft. Viele großartige Bücher, wie Tolkiens Herr der Ringe oder Endes Unendliche Geschichte, sind mehr als bloße Erzählungen. Aber nur der aufmerksame Leser wird die Worte zwischen den Zeilen erkennen, manchmal der Erheiterung dienend, manchmal auch ermahnend. Es sind fantastische Spiegelbilder unserer wirklichen Welt. Ohne den erhobenen, oft abschreckend wirkenden Zeigefinger führen sie uns auf eindrucksvolle bildhafte Weise an die Wahrheit heran. Selbstverständlich erheben nicht alle Geschichten den Anspruch eine tiefere Wahrheit zu enthalten. In erster Linie sollen sie uns unterhalten. Die Fantasy bietet beide Möglichkeiten. Das ist, was dieses Genre so wertvoll für uns macht, warum wir beschlossen haben, diese Anthologie ins Leben zu rufen. Es ist ihre Vielseitigkeit, die unbegrenzten Möglichkeiten, die Chance zu träumen … Denn unsere Träume sind es letztlich, aus denen unsere Ziele erwachsen. Was wären wir also ohne sie?

Alisha Bionda und Michael Borlik
Herausgeber




LESEPROBEN

Haus ohne Schlüssel
Marlies Eifert

... Als ich gegen Mittag in Würtgenwald ankam, den Koffer voller Lebensmittel für mindestens drei Wochen, fand ich - es fällt mir schwer, das so hinzuschreiben - Tante Irenes Haus nicht.
Ich dachte, das kann nicht sein. Aber es war eigentlich alles wie sonst: Die Schuppentür weit geöffnet, die Harke lehnte an der Wand. Weiße und rosafarbene Geranien auf dem Mäuerchen, das das Grundstück nach hinten begrenzte, blühten um die Wette, als wären sie am Morgen noch gegossen worden. Der Tisch draußen war wie bei meinem letzten Besuch mit einer blau-weißen Wachstuchdecke bedeckt. Schnecken, ob mit oder ohne Häuschen, ernährten sich genüsslich an den gerade gepflanzten Tagetes: Wie oft hatte sich Tante Irene darüber beklagt! Nur eben: Das Haus stand nicht mehr am Platz. ...

Von Zähnen, Sternen und Feen
Arthur Gordon Wolf

... "Ich ... ich kenne dich aber nicht", murrte Jeff schließlich kleinlaut.
Etwas blitzte kurz dort auf, wo Jeff die Augen der Fremden vermutete. "Oh doch!", widersprach sie ihm mit einem dunklen Lachen. "Oh doch! Du willst es nur nicht zugeben. Heute Morgen noch hast du mich lauthals als bloße Erfindung' verschrien."
Jeff presste sich so fest mit dem Rücken gegen die Wand, dass er die feinsten Unebenheiten der Tapete spürte. Seine weit aufgerissenen Augen wanderten immer wieder zwischen dem spitzen Hut und dem Silberstab der Fremden hin und her. Konnte es tatsächlich sein ...? - "Du ... du ... du bist ...?", flüsterte er stotternd. "Aber ... ich ... ich dachte ..."
"Du dachtest, all die vielen Sterne dort oben am Himmel sind ganz von alleine da hingekommen, habe ich recht?", fragte die Fee. "Du dummer  Junge,  du!  Wenn  ich  nicht



seit Ewigkeiten emsig alle Kinderzähne gesammelt hätte, um leuchtende Sterne daraus zu formen, würden die Menschen in der Nacht nur den Mond sehen und sonst nichts als Finsternis."...

Das Orakel
Barbara Jung

... "Unweigerlich geschieht das Schreckliche, das ich vorhersehe", flüsterte sie mit kaum geöffnetem Schnabel - selbst ihre anderen Allatos, denen sie sonst blindlings vertraute, sollten besser nicht hören, was sie sagte. "Wenn wir bisher etwas verhindern konnten, Biaga, dann ist das Zufall gewesen. Meine gesamte Magie ist machtlos gegen die Schrecken, die mir das Orakel weissagt."
"Von dreizehn schlimmen Ereignissen hast du zwei abwenden können", entgegnete Biaga und wusste selbst, wie wenig überzeugend er klang. "Ist das nichts?" "Nein!", sagte sie hart. "Das ist nichts! Denke an den Überfall der Feuerdrachen auf die Dörfer im Osten. Wie viele Tote hat es gegeben! An das Erdbeben in Vardena. Ach, und all die anderen Katastrophen! Ich wünschte, ich könnte dieses Loch stopfen und müsste nie wieder die Gräuelbilder dieser Kreatur empfangen. Doch das Loch lässt sich nicht schließen."
"Du hast es versucht? Obwohl sie es dir verboten haben?", wisperte er entsetzt. …


Wellensang
240 Seiten, TB
ISBN: 3-9808278-2-8
Euro 9,90 inkl. Porto und Verpackung