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Waltraud Daniela Garsta
Treppenkünstler
Ich würde . Ich sollte mir das
patentieren lassen. Und so wird es gemacht: Erst einmal alle möglichen
Arten von Treppen, Treppchen, Trittleitern, alte und neue, zusammen tragen.
Aus vielen verschiedenen Materialien sollten sie sein und für die
verschiedensten Zwecke produziert. Du streichst sie alle schwarz an. Das
ist dein Markenzeichen. Kannst auch spritzen. Das geht schneller. Natürlich
brauchst du einen großen Arbeitsraum. Aber das nützt nur deinem
Image. Nun gehst du zu allen Vernissagen, die du erreichen kannst, und quatscht
die Leute an, die dir wichtig erscheinen. Ob du auch Maler bist? ,Ja,
natürlich. TREPPEMKÜNSTLER.' Das muß ganz
selbstverständlich und cool kommen. Du fotografierst deine Objekte aus
eindrucksvoller Perspektive und läßt einen aufwendigen Katalog
drucken. Also ein bißchen investieren mußt du schon. Ganz allgemein
und nebenbei erwähnst du deine fiktiven Erfolge im Ausland und fängst
an ohne dich entmutigen zu lassen Galeristen, Kunstvereinsmanager
und Stadträte anzusprechen und von der Qualität deiner Kunst zu
überzeugen. Das geht. Darauf kannst du dich verlassen. Und jetzt muß
ein Knaller kommen: Du mietest eine große, möglichst bekannte
Halle. Dunkel ausgekleidete Wände umfangen die angestrahlten, schwarzen
Objekte, die ein knallrotes überragt. Du verschickst Einladungen, vor
allem an die Presse. Als Redner besorgst du dir einen bekannten
Kunstvereinsdirektor, dem du ein ordentliches Honorar zusicherst. Er will
einiges über deine Vorstellungen und Ziele wissen. Du sagst ihm, daß
du dich grundsätzlich nicht zu deinen Arbeiten äußerst. Das
überläßt du den Kunsthistorikern und Sachverständigen.
Im Laufe des Gesprächs läßt du ein paar halbverschluckte
Formulierungen fallen, wie ,Höhe des Geistes gewinnen', ,Erdenschwere
überwinden', ,Gott ein Stück näher sein', .Auf und Ab menschlicher
Existenz' oder ,0ben nimmst du das Nichts wahr', aber auch .jede Stufe
symbolisiert soziales Engagement, keine darfst du verfehlen.''. Wie du in
seiner Eröffnungsrede anläßlich der Vernissage dann feststellst,
hat er gut aufgepaßt. Es ist eine hochkalibrige, anspruchsvolle Analyse
deiner Arbeit. Du siehst bescheiden auf den Boden, während die Leute
klatschen. Sekt wird gereicht. Nun folgt die angekündigte Performance,
eine genau geplante Aktion, über die du einige geheimnisvolle Bemerkungen
gemacht hast. Ein nacktes Modell ersteigt die rote Treppe, begleitet von
aufreizenden Syntheziserklängen aus den leistungsstarken Lautsprechern.
Die ausdrucksvollen, erotischen Bewegungen entzücken und schockieren
das Publikum gleichermaßen. Ein tiefgrün gekleideter, junger Mann
mit Kinnbart erklimmt die Treppe. Drei Stufen unter dem Mädchen, das
in erwartungsvoller Pose verharrt, bleibt er stehen. In der linken Hand
hält er einen bauchigen, altertümlichen Porzellannachttopf.
Umständlich öffnet er den Reißverschluß seiner Hose.
Als alle die so sehnlich erwarteten Schweinereien auskosten wollen, gehst
du nun endlich dazwischen und brichst das Spiel mit den wiederholten Beteuerungen
ab, du hättest keineswegs gewußt, was da laufen würde. Das
Publikum verbirgt seine Enttäuschung hinter gespielter Empörung
und nickt dir zu. Auch die Reporter. Aus Rachsucht jedoch machen die dann
mit Hilfe einiger Verdrehungen und Verleumdungen aus der Sache einen handfesten
Skandal. Ganz groß aufgemacht in den Zeitungen. Aber das ist es ja,
was du haben willst. Nun hast du für den Ausbau deiner Karriere freie
Fahrt. Von Station zu Station. Zunehmend initiierst du stark beachtete Aktionen
im großen Rahmen, wie zum Beispiel die mit den Schwertransportern,
die nicht überholt werden können. Sie fahren riesige Treppenaufbauten
auf Straßen und Autobahnen umher, überklebt mit Transparenten
für irgendeine gute Sache. Die Behörden sind stolz darauf, deine
Unternehmungen zu unterstützen. Jetzt ist natürlich auch das Fernsehen
mit dabei. Deine wohl spektakulärste Aktion ist die 'Färbung
derTrinitä dei Monti'. In einigen sorgsam errichteten, unauffälligen
Ständen läßt du T-Shirts in verschiedener Aufmachung verkaufen,
das Treppensymbol auf der Brust, gedruckt oder auch aufgestickt. Ton in Ton
oder grell bunt. Und Kataloge mit einer handsignierten, aktuellen Postkarte
(zehn Leute haben sich eine ganze Woche mit den imitierten Unterschriften
abgemüht, die ja handgeschrieben aussehen sollen). Auch Ketten mit kleinen
goldfarbenen Treppchenanhängern werden angeboten. Alles ist sehr
anspruchsvoll und teuer. Und man muß es haben. Vor einem riesigen,
höchst interessierten Publikum gießt du persönlich den ersten
Eimer (wasserlöslicher) schwarzer Farbe aus. Ganz von oben auf der rechten
Seite. Sie kontrastiert wunderschön und zunehmend immer stärker,
zu dem Marmor der barocken Anlage. Der ganze Vorgang zieht sich über
Tage hin. (Du mußt vorher gut die Wetterprognosen beachten, denn auch
in Rom kann es regnen). Eine vieltausendköpfige Menge schreitet im Lauf
der Zeit beeindruckt über diese neue ,Spanische Treppe' und wirft kleine
Münzen in den Brunnen am Fuße der Treppe, der ohne Wasser ist,
um für einen guten Zweck Geld aufzunehmen. Es ist eine wahrhaft berauschende
Erfahrung, die du genießt wie eine Droge. Aber du darfst keine zu lange
Pause machen, wenn du im Gespräch bleiben willst. Noch nicht! Denn nun
kommt der schon lange fällige Höhepunkt: Jeder von uns kennt die
Darstellung einer .endlosen Treppe', die aus vier Teilen besteht, und über
deren Stufen man ohne Pause aufwärts oder abwärts laufen kann.
Immer rund herum. Die baust du. Auch, wenn sie unter den ,unmöglichen
Figuren' geführt wird. Du errichtest sie auf einem riesigen Platz in
einer europäischen Großstadt. Stände und Buden, sowie
Straßenlokale mit zierlichen, weißen Tischchen und Stühlen
sorgen für eine Volkfeststimmung. Die Zugänge führen von vier
Seiten zu der Bogenkonstruktion, die den gewaltigen Bau trägt.
Fahrstühle in der Mitte des Bauwerks befördern die Besucher nach
oben. Von einer Plattform aus erreichen sie die eigentliche .endlose Treppe'
und begehen die breiten Stufen. Immer abwärts. Immer abwärts. Oder
aufwärts. Links herum oder rechts herum. Ein kleiner Kanal auf jeder
Seite mit schwarz gefärbtem, lustig plätscherndem Wasser begleitet
sie. Das Wasser hört nicht auf zu fließen. Immer abwärts.
Oder aufwärts? Irgend etwas stimmt da nicht. Oder? Shit, geht doch gar
nicht.' aus: Waltraud Daniela Garstka: Die Treppe, Notizen zur Entstehung einer Geschichte, Neckargerach 1997
Weitere Auszüge aus dem Roman:
http://home.t-online.de/home/wdgarstka |