Saubere
Pfoten
Barbara
Jung
„Dass du eine Macke hast, ist mir schon
lange klar, aber dies lässt mich wirklich an deinem Verstand
zweifeln!“ Sabine konnte es einfach nicht fassen.
Sie drehte sich brüsk von ihm weg und ging
zum Fenster. Dort blieb sie stehen, mit hängenden Schultern, lehnte
die Stirn an die Fensterscheibe.
„Was ist dabei, wenn ich Cleopatra einen
Platz an unserem Tisch einräume? Sie soll ja nicht zwischen den Tellern
sitzen, sondern genau wie wir auf einem Stuhl. Katzen sind reinliche Tiere,
sauberer als manche Menschen.“
„Was willst du denn damit
sagen?“
„Nichts, wirklich nichts!“, beeilte
Manfred sich zu versichern. „Das ist doch nur die Wahrheit,
oder?“
Sie fand es überflüssig, darauf
einzugehen. Hatte das alles noch Sinn? Musste sie sich wirklich ständig
von einem Mann herabsetzen lassen, dem das Wohlergehen seiner dicken, schwarzen
Katze mehr am Herzen lag als das seiner Freundin?
„Liebes, bitte, geh einen Schritt zur
Seite“, hörte sie da seine Aufforderung. „Die Sonne scheint
so warm auf die Fensterbank. Sicher möchte Cleopatra dort ein
Schläfchen halten.“
Das gab den Ausschlag. Zwar gehörte dieses
Ansinnen zu den am wenigsten drastischen der letzten Zeit, war eigentlich
nur eine weitere Perle in der langen Schnur der Rücksichtnahme auf dieses
verdammte Katzenvieh, aber es brachte das Fass zum
Überlaufen.
Gerade hatte man sich zum Essen hingesetzt.
Das Vieh hatte bereits so lüstern die Speisen auf dem Tisch fixiert,
dass es jetzt wohl um nichts mehr auf der Welt von dieser Stelle wegzubringen
wäre, auch nicht von der Aussicht auf ein Schläfchen in der Sonne.
Es war reine Schikane von Manfred, sie jetzt vom Fenster wegscheuchen zu
wollen. Es war ein Platz, den Cleopatra liebte, also hatte Sabine dort nichts
zu suchen. Das war alles.
Sabine ballte die Fäuste.
Mit ein paar schnellen Schritten war sie am
Tisch. Aus den darauf stehenden Schüsseln dampfte es ihr verführerisch
entgegen. Doch ihr war jeglicher Appetit vergangen. Manfred saß an
seinem üblichen Platz, Cleopatra, die sich schnurrend an seinem Arm
rieb, auf dem Schoß. Grinste dieses Vieh sie nicht höhnisch
an?
Sabine riss ihre Handtasche von der Stuhllehne
und eilte zur Tür, ohne Herrn und Katze noch eines einzigen Blickes
zu würdigen. Sie konnte das einfach nicht länger ertragen, weder
diese boshafte Tierfratze, noch den belämmerten Ausdruck, der stets
auf Manfreds Gesicht erschien, wenn sie die Sprache auf sein, wie sie fand,
unnatürliches Verhältnis zu Cleopatra brachte. Es war ihr völlig
unverständlich, wie ein so hochintelligenter Mann wie Manfred diese
geradezu abgöttische Liebe zu einem Haustier hatte entwickeln
können.
Vermutlich vertrieben durch Manfreds Unruhe,
sprang die Katze mit einem lautlos-geschmeidigen Satz von seinem Schoß
hinunter auf den Boden. Mit hoch erhobenem Schwanz stolzierte sie auf samtenen
Pfoten davon.
„Wo gehst du denn hin? Das Essen steht
auf dem Tisch.“
Einen Augenblick überlegte Sabine
tatsächlich, ob Manfred vielleicht die Katze gemeint haben könnte.
Dann antwortete sie bitter: „Lasst es euch nur schmecken. Mich werdet
ihr nicht wiedersehen. Mir reicht’s!“
Sie streckte die Hand nach dem Türgriff
aus. In diesem Moment sauste ein schwarzer Schatten an ihr vorbei und brachte
sie fast zu Fall. Sabine schnappte erschrocken nach Luft. Ihr war gewesen,
als hätte diese verwünschte Katze mit der Pfote nach ihrem Bein
geschlagen und sie nur um Haaresbreite verfehlt. Es war doch durchaus
möglich, dass dieses Vieh ihre Antipathie spürte und sich rächen
wollte. Sabine traute es der Katze ohne weiteres zu.
Bloß weg
hier!
Der Mann am Tisch schaute betroffen hinter der
Frau her. Doch er ließ sie gehen. Sabine hatte gewählt. Sie hatte
deutlich zu verstehen gegeben, dass sie nicht willens war, ein unschuldiges
Tier in ihre Verbindung mit einzubeziehen. Dieses Minimum an Größe
jedoch hätte er von ihr erwartet. Also war sie auch nicht die richtige
Frau für ihn.
Vielleicht war es sowieso zu früh, sich
zu binden. Sein Forschungsprojekt verlangte seine gesamte Aufmerksamkeit.
Wenn er es schaffte, dieses Projekt erfolgreich abzuschließen, war
er ein gemachter Mann. Er würde Zeit seines Lebens nicht mehr arbeiten
müssen. Jedenfalls nicht, wenn er keine Lust dazu
verspürte.
„Komm, Cleopatra, unsere Mahlzeit
wartet!“, lockte er die Katze.
Die näherte sich sofort aus einem verborgenen
Winkel des Zimmers und sprang mit schwerelos anmutender Grazie auf Sabines
angestammten Stuhl. Aufrecht saß sie da und blickte Manfred aus ihren
unergründlich schimmernden Augen herausfordernd an. Ihm fiel ein, welchen
Schreck sie Sabine eingejagt hatte, als diese das Zimmer verlassen wollte.
Genau von links hatte sie den Weg der Frau gekreuzt. Es war fast gewesen,
als habe sie ihr künftiges Unheil signalisieren wollen.
Für einen Moment stutzte Manfred. Dann
musste er lächeln. Zwar war Cleopatra ein ganz besonders kluges Tier,
doch von den kleinen abergläubischen Marotten der Menschen konnte sie
keine Ahnung haben.
Am liebsten hätte er sie ja wirklich vom
Teller auf dem Tisch fressen lassen, doch ihm fiel rechtzeitig die
Haushälterin ein, die jeden Moment hereinkommen konnte, um sich mit
unverhohlener Neugier in der Stimme nach Sabines Verbleib zu
erkundigen.
Nur mit halbem Ohr hörte er hin, wie
draußen der Motor von Sabines Wagen ansprang. Die Reifen ließen
den Kies knirschen, als sie davonfuhr. Nun gut, diese Geschichte war zu Ende.
Er war überrascht, dass er keinerlei Bedauern verspürte.
Liebevoll füllte er Cleopatras Teller und
stellte ihn vor sie hin auf die Sitzfläche ihres Stuhles. Einen Augenblick
lang schaute er ihr zu, wie sie manierlich von ihrem Teller aß, und
kraulte ihre seidigen Ohren. Dann setzte er sich selber wieder nieder und
langte ebenfalls kräftig zu.
Es schmeckte ihm ganz ausgezeichnet. Zwar irritierte
es ihn ein wenig, dass er auf sein unverbindliches Geplauder, mit dem er
sonst Sabine während der gemeinsamen Mahlzeiten zu unterhalten pflegte,
heute keine Resonanz erhielt, doch schon bald gelangte er zu der
Überzeugung, wie wohltuend es war, dass ihn niemand unterbrach. Wie
gut konnte er da seine Gedanken ordnen, und wie angenehm war es, nicht
ständig aufpassen zu müssen, was er sagte. Denn schließlich
waren längst nicht alle Einzelheiten, die seine Arbeit betrafen, für
fremde Ohren bestimmt.
Cleopatra allerdings konnte er alles anvertrauen.
Sie war verständnisvoll und verschwiegen. Kein Mensch würde von
ihr jemals erfahren, was er ausgeplaudert hatte.
Wie sie ihn mit klugem Blick anschaute! So als
verstünde sie jedes Wort. Manchmal holte sie sogar tief Luft, wenn er
eine These aufstellte, ganz so, als sei sie mit seinen Schlussfolgerungen
nicht einverstanden. Oder das Gegenteil. Das musste er erst noch herausfinden.
Manchmal gab sie auch ein kleines Miauen oder ein Fauchen von sich.
Erstaunlich!
Selten hatte Manfred mit einer solch angenehmen
Partnerin gespeist. Ein äußerst attraktives Gegenüber, in
der Tat! Dieses seidig glänzende schwarze Fell, diese herrlichen
grünen Augen, rätselhafter als die einer Sphinx.
Da unterbrach die Haushälterin mit einem
hastigen Klopfen die Idylle. Aufgeregt schnaufend stürmte sie ins Zimmer,
ohne seine Aufforderung abzuwarten. Völlig aufgelöst war sie, denn
sie überbrachte eine schreckliche Neuigkeit: Ein Nachbar, der weiter
unten an der Straße wohnte, hatte gerade angerufen. Frau Sabine habe
an der Kreuzung einen schweren Autounfall erlitten. Leider ... ja, leider
sei sie noch an der Unfallstelle verstorben.
Das war eine wirklich unerwartete Überraschung
für Manfred. Unwillkürlich versuchte er Cleopatras Blick zu
einzufangen.
Doch die wunderschöne Katze war aufs
Angelegentlichste damit beschäftigt, in gewissenhafter Akribie ihre
nachtschwarzen Pfoten zu lecken.
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