Ostfriese in Algier
Das flache Ostfriesenland, ohne bemerkenswerte
Erhebungen, wer kennt es? Einer hat seinen Ehrgeiz darein gesetzt, es bekannt
zu machen: Otto Wahlkes. Auch noch im Jahr 2000+x war er bekannt. Mit ihm
Ostfriesland. Von mir aus hätte es ruhig unbekannt bleiben können.
Ich war arbeitslos, es fand sich auch nichts. Aber ohne den Wind, der von
der See herüber blies, konnte und wollte ich auf die Dauer einfach nicht
leben. Mit dieser Seeluft war ich irgendwie verwurzelt. Sie band mich aber
nicht so fest an diese Gegend , daß ich nicht gelegentlich Lust bekam,
in den Süden mitgenommen zu werden. Dazu muß ich einiges
erzählen: Das geht immer gut bei einem Lütt- un- Lütt . Trotz
Arbeitslosigkeit war ich keineswegs untätig. Übrigens, für
alle, die diese Gegend nicht kennen: Lütt-un Lütt' ist ein
kleines Glas Jeverbier und ein kleiner Kümmelkorn. Jever gehört
zwar nicht zu Ostfriesland, ist aber auch nicht zu weit weg. Meine
Tätigkeit nun bestand darin, daß ich für andere kochte. Bei
Jubiläen und Hochzeitsgesellschaften und für mich natürlich
auch. "Du dröhnst ja", sagt meine Nachbarin, wenn ich so langatmig
erzähle. Mir macht das langatmige Erzählen nichts aus, weil ich
dabei die frische Seeluft immer einatme. Und dies war auch wichtig.
Übermorgen nämlich wollte mein Vetter mich mitnehmen in die Gegend
von Algier. Da muß es ganz schön heiß sein. Etwas naiv
bemaß ich den Temperaturunterschied als nicht zu gravierend. Bei der
allgemeinen Erderwärmung haben wir selbst auf den ostfriesischen Inseln
gelegentlich bereits mittelmeerische Temperaturen.
Der Verpestung von Luft Einhalt zu gebieten,
dachte man sich folgendes aus. Alles, was fun und Spaß betrifft, ab
in die Wüste. Dorthin wollte mein Vetter mich mitnehmen zu einem
Denksportfest. Bei dem Denksport ging es auch um kulinarische Dinge. "Davon
hast Du doch Ahnung", sagte er zu mir. Also fuhren wir zunächst mit
einem Autoreisezug gen Süden, um Marseille herum und verteilten uns
dann auf Fähren Richtung Algier. Bereits von weitem sah man gläserne
Architekturen in den Himmel zwischen Küste und Wüste ragen. In
unserem Quartier legten wir uns erst einmal in die Badebecken. In aufbereitetes
Meerwasser. Darauf sollten wir uns in Wollmäntel hüllen, gefertigt
aus der Wolle von Schafen, die die Berber durch's Gebirge treiben. "Wat
för'n Unsinn." Ich konnte mal wieder meinen Mund nicht halten.
"Das ist Brauch bei den Berbern" bekam ich zur Antwort. Unter solch einem
Mantel kommt man nicht über 37 ° . Man kann also nicht stärker
schwitzen, als der Körper ohnehin bei sich selbst schwitzt.
Für uns war das Schwitzen als nächstes
bei den Denksportaufgaben angesagt. Die Antwort sollte ich in ein Mikrofon
eingeben, das mein Wissen weiterreichte. Dieses wurde ganz objektiv per Computer
bewertet. Danach stieg eine farbige Lichtsäule in einer der Glasröhren
hoch. Wenn diese Lichtsäulen zu dieser Zeit des Sonnenuntergangs dessen
Farbe annahm, hatte man 100 Punkte. Was für'n Kitsch', dachte
ich. Wie gut, daß man bei der Kochkunst noch einigermaßen
Geschmack hat' Zunächst lief es bei mir ganz gut. Ich hatte mich bereits
mächtig gehöcht, wie man bei uns sagt, weil ich bis jetzt bei den
Antworten vorne lag. Da erhielten wir die Aufgabe, einen Satz umzuformen,
daß er in eine vernünftige Kochrezept- Anweisung paßte.
Es brauchten nur wenige Wörter umgeformt- und ergänzt zu werden
. Der Satz lautete, Mit goldenem Löffel das Heu vom Boden kratzen
Jetzt aber , in diesem Augenblick, dachte ich
ganz unerwartet an meine Kindheit. Damals gab es tatsächlich noch Heu
auf dem Boden. Es war für unser Karnickel da. (auf Hochdeutsch:
Kaninchen) Dies sollte im Winter auch etwas zu füttern haben. Der Gedanke
an den Dachboden und das Kaninchen hat mein Denken völlig blockiert.
Verwirrt nahm ich einen der Wollmäntel, stürzte nach draußen
in die nächtlich Luft und fing an, vor mich hin zu singen: "dat old
swin kümmt inne haute cuisine .." Ich irrte durch die Straßen
und war völlig meschugge. Folgendes stammt aus einem Bericht, der mit
Hilfe anderer Leute zustande kam. Diese anderen waren eine algerische Frau
und ein spanischer Urlauber. Danach hatte ich meinen Singsang vor mich
hingesungen, mich manchmal auf's Straßenpflaster gesetzt. Leicht verwundert
sahen mich die Anwohner an. Die Frau und ihre zehnjährige Tochter haben
mich in das Haus mitgenommen. Dort gaben sie mir zu trinken und versuchten,
mich zu beruhigen. Eine Zeit lang mußte ich ziemlich geistesabwesend
gewirkt haben. Irgendwie kam ein junger spanischer Tourist in das Haus. Er
hatte etwas deutsch gelernt bei der Betreuung deutscher Touristen in Spanien.
So kam eine minimale sprachliche Verständigung zustande. Für die
Frau wurde ich nach und nach insofern nützlich als ich ihren
zweieinhalbjährigen Sohn betreuen konnte. In einem der Räume lag
ein zerschlissener , aber schöner und wertvoller Teppich. Darauf hatte
ich ein Tier erkannt, das mit zwei Pfoten auf dem Boden kratzte. Durch das
Tier kam etwas von der Rätselfrage wieder ins Bewußtsein zurück.
Von der Frage eben, die mich derart verwirrt hatte. So langsam lief mein
Denken wieder in normale Bahnen. Es ging mir auch besser , weil ich in der
Küche mit helfen konnte. Sobald die Frau merkte, daß ich
Fähigkeiten und Kenntnisse hatte, die in der Küche gut zu gebrauchen
waren, spannte sie mich tüchtig ein. Nun kochte ich inzwischen für
die Freundin der Frau und für...Langsam wurde mir auch klar, daß
ich für die Frau nicht unbedeutend war. Ihr Mann hatte sie nämlich
verlassen , und ich als männlicher Bewohner im Haus hob ihr Ansehen
in der Nachbarschaft. Der Urlauber aus dem spanischen Touristenort
kam hin und wieder vorbei. Es ergab sich , daß er einmal eine Artichocke
mitbrachte. Er machte sich daran, sie zuzubereiten. Jetzt war er dabei das
was man Heu nennt, aus dem Boden der Artichocke herauszukratzen. In diesem
Augenblick fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Er war ganz entsetzt,
als ich ihn umarmte , wer weiß was stammelte und ihn mit feuchten Augen
meinen besten Freund nannte. Amigo und superb. Als ich mich beruhigt hatte
und langsam wieder zu mir gekommen war, erhielt ich Klarheit über meine
Situation. Zwar nicht vollständig, aber doch so einigermaßen.
Für die Frau war ich als männliches Wesen immerhin ein
Aushängeschild. Zudem hatte sie natürlich auch etwas in meinen
Taschen vermutet. Nun gut. Das beste war schließlich , daß ich
auf die Auflösung der Rätselfrage kam:'Mit dem Löffel wird
der Artischockenboden ausgekratzt, das Heu vom Boden heruntergeholt. Dazu
werden dann goldbraun geröstete Brotstücke gereicht.' Ich versuchte,
so gut es ging, meine Gastgeberin und dem Spanier klar zu machen, welche
eigentümlichen Umstände mich zu ihnen geführt hatten. Mit
dem spanischen Touristen fuhr ich zum deutschen Konsulat ,und danach ging
es bald heimwärts.
Zu hause gab es erregte Debatten mit meinem
Vetter. Ein Schnack gab den anderen . Wir hauten auf den Tisch." Die
Suchmeldungen, alle vergeblich." schimpfte mein Vetter. Ein Nachbar kam herein.
" Nu teuwt mol een beeten . Immer Sutje. Nun halten mal die Luft an, eins
nach dem anderen." Die ganzen Umstände wurden aufgedröselt, also
nicht wie der gordische Knoten von Alexander durchgeschlagen, sondern nach
und nach aufgetütelt, in die Handlungsfäden zerlegt.
Nachher haben wir denn doch mit etwas Lütt-un-
Lütt den glücklichen Ausgang der ganzen Sache begossen.
Ich fand auch jemanden, der die Sache zu Papier
brachte. Auf diese Weise wurde zwar nicht Ostfriesland bekannt, es lernten
aber Leute mich kennen und auch die Artichocken.
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