Mein Ex'
Ich kann auch nicht sagen, warum. Der Strand war
leer so wie selten vorher. Vielleicht lag's an der Mittagszeit
und an der Hitze Oder waren alle Leute auf den
Malediven?
Eigentlich hatte Alma mitkommen wollen, aber sie
hatte wieder einmal keine Zeit. So war ich nur in Begleitung eines
Buches , das nun ein paar Meter vor mir lag. Aufgeschlagen- mit dem Rücken
nach oben. Ich wollte so schnell wie möglich Farbe bekommen, hatte mich
mit Sonnenschutzöl Faktor 12 eingerieben, mich auf den Rücken gelegt
und blinzelte in die Sonne.
Aber man hält das ja nicht lange aus in der
prallen' Sonne, und so setzte ich mich auf und ließ mich von
dem kleinen Jens ablenken, der immer an seiner Oma zog , um ihr was zu zeigen.
Die Oma wollte nicht so recht wie Jens.
Ja, und in dem Moment passierte das, warum ich die
Geschichte erzähle. Hinter dem Gebüsch, das zwischen mir
und dem Strand plaziert war, erkannte ich einen Mann. Ich war überzeugt,
ihn zu kennen. Ziemlich groß, ziemlich weiß(ich meine, er war
nicht sportliche gebräunt) leicht nach vorne gebeugt mit Stock und trotz
allem mit einem unverwechselbaren Gang, den ich nicht beschreiben kann. Der
Stock gehörte vor zwanzig Jahren nicht zu seinen Requisiten. Trotzdem
wußte ich: Mit diesem Mann war ich irgendwann einmal vor Jahren
verheiratet.
Mein erster Impuls:'Ich rufe laut hinter ihm her.'
Aber dazu war ich zu feige.
Achim, genauer der, den ich für Achim hielt,
verschwand langsam in Richtung Wasser. Er legte seinen Stock beiseite in
den Sand , und ich fragte mich, warum er einen Stock gebraucht hatte, denn
im Gang änderte sich nichts. Der Stock war für mich eine Versicherung
dafür, daß Achim wieder zurückkommen würde, und zwar
an die gleiche Stelle, wo er ihn hingelegt hatte.. Ich bemerkte, daß
auch Jens den Gegenstand im Auge hatte, und lief schnell, um ihm zuvorzukommen.
So hielt ich die wohlgeformte, schwarz lackierte Gehhilfe wiegend in den
Händen, bis Jens das Interesse daran verloren hatte und langsam zur
Oma zurückging.
Ich holte mein Badetuch und beschloß, auf
Achim zu warten.
Wenn ich ehrlich zu mir war, war ich ihm immer noch
dankbar. Nach so vielen Jahren , und obwohl ja nun auch das ein - oder andere
nicht so gelaufen war, wie ich mir das so gedacht hatte.
Kennengelernt hatte ich ihn auf einer der
Tanzveranstaltungen, auf der die Damen nebeneinander aufgereiht saßen
und auf die Kavaliere warteten, die sie freundlich zum Tanz aufforderten.
Oder auch nicht, denn Herren' zum Tanzen waren eigentlich in der Regel
zu wenige da. So blieben immer einige Damen im allerwörtlichsten
Sinn'sitzen'. Meist waren es die Fräuleins am unteren Ende der Sitzreihe,
und so gab es eigentlich immer ziemlich undamenhaftes Gerangel um die besten
Plätze. Ich saß am unteren Ende, und Achim forderte mich auf,
bevor es für mich hätte peinlich werden können. Und ich blieb
nicht sitzen!
Mich störte es überhaupt nicht, daß
er eine Verletzung unterhalb des linken Ohres (aus Kindertagen, wie
ich später erfuhr) mit sich herumtrug.
Er meinte immer, wir passen zusammen, beide haben
wir Narben, die jedermann sehen kann.
Dabei spielte er auf einen ärztlichen Kunstfehler
an , den ich oberhalb der Nase mit mir herumtrug.
Wir merkten schnell, daß wir uns eigentlich
kennen müßten, denn wir hatten das mittelhochdeutsche Seminar
bei van der Grymme belegt. So ein Zufall! Wie das Leben so spielt. Von nun
an hörten wir gemeinsam van der Grymmes Rezitation und Interpretation
von Walthers Gedichten, und wir waren uns einig darüber, daß O
we war sint varswunten alliu miniu jar, ist mir min leben getroumet oder
ist es war(1)...' unser Gedicht sein würde. Es gab dann noch mehr Gedichte,
und es gab Seminararbeiten und das Examen. Und dann hatten wir auf einmal
viel Geld- für eine gemeinsame Wohnung und dann kam Ulrike. Aber Ulrike
hat ihren Vater nicht kennengelernt. Daß sie dann mit zehn Jahren an
Lungenentzündung starb, hat er nie erfahren, denn ich kannte seine Adresse
nicht.
Wohin sind die Jahre verschwunden? Wenn ich seine
Narbe unterhalb des linken Ohres sehen würde, dann wüßte
ich' s genau: Er war der Vater Ulrikes, und er würde-wenn er mich
erkannte- nicht wissen, ob dieses Leben ein Traum war oder
wirklich.
Was würde er dazu sagen , daß ich seinen
schwarzlackierten Stock behütet hatte?
Aber Achim kam nicht zurück. Ich hatte zwei
Stunden auf ihn gewartet. Geträumt. Dann hielt ich es nicht mehr aus.
Der Bademeister wußte mit meiner Beschreibung nichts anzufangen. Einen
Mann mit schwarzlackiertem Stock -ich zeigte ihm den Gegenstand- hatte er
nie gesehen. Ich sollte unter den abgelegten Kleidungsstücken
nachsehen, aber woher sollte ich wissen, was er getragen
hatte.
Der Bademeister zeigte seinen guten Willen, als
er das Wasser mit Fernglas absuchte. Manche schwimmen bis zum anderen
Ufer'. Aber Achim war kein guter Schwimmer. Ich wußte das genau. Man
mußte doch etwas tun.
Wenn die Leute über die Abgrenzung
hinausschwimmen, bin ich nicht mehr verantwortlich.'
Es war nichts zu machen. Immerhin gab es in der
Nähe ein Telephonhäuschen. Und es gab die Polizei, die sich nun
der Sache annehmen würde.'Ja, das hat es schon öfter gegeben. Meistens
schaffen es die Leute bis zum anderen Ufer. Geben Sie uns Ihre Adresse. Wir
benachrichtigen Sie.' Ich mußte einen verwirrten Eindruck
machen.
Finden Sie den Weg nach Hause?'
Ja, ja
Als ich an unserer Wohnungstür klingelte-wo
der Schlüssel war , wußte ich nun wirklich nicht- kam Wolfgang
an die Tür. Wo bleibst Du so lange. Wo warst Du. Wir wollten die
Polizei holen.' Komm rein. Wolfgang nahm mir die Badetasche ab. " Du, ich
hab' meinen Ex' gesehen, ich habe ihn wirklich und wahrhaftig gesehen".
"Welchen?" Wolfgang erinnerte mich an seinen Vorgänger, den ich auf
einer Bank im Kurpark von Neuenahr kennengelernt hatte. "Nein, es war der
mit der Narbe unter dem linken Ohr".
"So, der."
"Ja. der":
Und ich träumte nicht, denn Wolfgang hatte
mein Lieblingsgericht gekocht. Spargel mit Pellkartoffeln und
Schinken.
(1) eine Klage darüber, daß das Leben
so schnell verschwindet. Habe ich geträumt oder war alles
Wirklichkeit?
|