Kugeln rollen auf grünem
Grund
Amöbenkolonie
auf Pento
Barbara und Josefa rollten bedächtig in ihrem kugelförmigen
Sauerstoffbehälter mit Schwerkraftregler und handelsüblichem
komputergesteuerten Sprachtransformator auf grünschimmernder Unterlage,
die platt war wie ein Tisch. So waren sie optimal an die
Einwohner von Pento angepaßt, von denen man wußte, daß
auch sie in kugelförmigen durchschimmernden Körpern einher rollten.
Die beiden Forscherinnen gehörten einer Arbeitsgruppe von Frauen an,
die für das schwedische Friedensinstitut 'Senghaas' tätig
war .Ihr Auftrag :Untersuchung von friedlichen Gesellschaften
im Bereich der Milchsstraße.
Trotz Fortschritten in einigen Gebieten schiffte Mutter Erde immer
noch mehr oder weniger chaotisch im dunklen Weltall herum. Terror, Mafia,
Kriege,- man hatte es mit Genveränderung versucht, aber irdischer Friede
war nicht in Sicht...Nun erhoffte man sich Lehrmeister aus dem Weltall. Daß
es sich bei diesen eher um Lehrmeisterinnen handeln würde, setzte man
einfach so als Arbeitshypothese voraus.
Barbara und Josefa rollten auf grünschimmernder Unterlage- hoffend,
daß der Kontakt zu den rollenden Damen auf Pento nicht zu lange auf
sich warten ließe.
Langsam näherten sie sich der höchsten Erhebung, einer Art
Gebäude -bizarr und regellos, die sich gegenwärtig in milden
Blautönen präsentierte. Vom Raumschiff aus hatte das Team
bereits festgestellt, daß die einzelnen Bauteile aus 'lebenden'
kugelförmigen Wesen bestanden Als sie so nahe herangekommen waren, daß
sie Einzelheiten erkennen konnten, löste sich Kugeliges aus dem
Gebilde und rollte vorsichtig,, wie es schien, auf sie zu. Kontrollampen
leuchteten 'Kontakt'.'Hören', 'Sehen ', 'Geruch' waren eingeschaltet.
Sie führten alles mit perfekten Handgriffen aus, weil sie es oft
im Trainingslager geübt hatten.
Ja, es kam zu einer ersten Begegnung zwischen 'Pento' und 'Erde', aber trotz
offensichtlich guter Absichten auf beiden Seiten: Man erfuhr im
Augenblick herzlich wenig voneinander. Beständig änderte
die Bewohnerin des Planeten Pento die Form im Kugelinnenraum Aus
Augen', die die gesamte Körperoberfläche bedeckten,
sprühten Blitze. Fortwährend wechselte die Zellmembrane ihre
Farbe Eine Willkommensrede ? Wenn das so sein sollte, dann nahmen
sie die Botschaft zwar war, aber verstanden sie nicht.. Irdische Gehirne
und irdische Sprachtransfomatoren versagten ihre Unterstützung.
Josefa und Barbara mußten schnellstens zurück zur Station, die
Sauerstoffkontrollampe hatte sich schon seit zehn Minuten bemerkbar gemacht.
Auch die Kugel aus Pento rollte den Rüchzug an.
Auf der Station gab man der Kontakt'person' zuerst einmal einen Namen. Pentasia
sollte sie von nun an nach dem Vorschlag Josefas heißen. Daß
Pentasia über ungewöhnliche Differenzierungsmöglichkeiten
verfügte, wenn es sich um Farben handelte, war unverkennbar. Farben,
Rhythmisierung der Farbproduktion als Verständigungsmittel?
Die Augen- Empfangs-und Sendegeräte zugleich? So unmöglich war
das nicht. Schließlich war das Phänomen ,genannt Äugeln',
auf Erden auch nicht ganz unbekannt. Ebenso die Symbolkraft der Farben.
Bemerkenswert, daß niemand von der Station auf die Idee kam, eines
der Wesen zu fangen, um ihre Konsistenz festzustellen! Bei männlichen
Forschungsteams wäre das wohl selbstverständlich gewesen.
Anderntags rollten vier Kugeln auf grünschimmernder Pentostraße
der Station entgegen. Pentasia und drei Schwestern' suchten
den Kontakt zur Erdabordnung! Etwas besseres hätten nicht passieren
können.
Ganz in Ruhe durfte man nun voneinander lernen. Nachteilig war, daß
die Forschungsgruppe nicht über annähernd so viele
Farbproduktionsmöglichkeiten verfügte, wie die Pentobewohnerinnen
.Bei der Datenspeicherung versagte die Computerkapazität. Trotzdem war
eine Beobachtung zumindest nicht uninteressant. Bestimmte Signale , die von
den Forscherinnen ausgesandt wurden, hatten entsprechende Reaktionen zur
Folge.. Etwa dem Phänomen vergleichbar, daß ein Vogel auf menschliches
Pfeifen antwortet'. Man verstand:
Die Farbe Grün , Zeichen für gute Laune ! Ebenso Blau. Orange
bedeutete Ungeduld, Rot Erregung.
Nun ja, die Erkenntnisse waren, bei Licht betrachtet, eher bescheiden.
Daß man sich schließlich pentasisch-menschlich näherkam,
verdankten sie einem Zufall. Eine von den Schwestern Pentasias kam
mit einer Nährflüssigkeit in Berührung, die in Flaschen.
mitgeführt worden war. Diese Nährflüssigkeit wirkte
bei den Gästen wie Alkohol! Alle Kugeln' rollten herum,
versprühten verschwenderisch reiche Variationen von grünen
Farbtönen: Türkis, Seladongrün, hell Oliv....
Mehrere Stunden verbrachte man in heiterster Stimmung miteinander .
Als Pentasia, die der Gestalt nach größte der Pentobewohnerinnen
, ihre Schwestern überzeugte, daß man sich zurückziehen
müsse, waren alle traurig.
Josefa begab sich in den Beobachtungsraum. Sie wollte wissen, ob die
Gäste auch gut zu Hause ankommen würden. Sie drückte
den Kameraknopf , setzte sich vor den Schirm und rauchte eine verbotene
Zigarette. Josefa sah, wie die vier Kugeln sich der Burg näherten, kleiner
und kleiner wurden und endlich im Dunst verschwanden. Sie stellte den
Filter ein und konnte trotz Dunkelheit nun einiges erkennen. Das
burgähnliche Gebilde zeigte sich beim Näherkommen Pentasias
und ihrer drei Schwestern in äußerstem Erregungszustand. Turmhohe
Kugelstapel stürzten zusammen, rollten regellos umher. Farben
sprühten. Rottöne breiteten sich aus. Pentasia signalisierte eine
Viertelstunde lang Blau, Blau, Blau, Gelb, Blau im Wechsel. Damit erreichte
sie nicht sofort ,aber doch nach und nach eine neue Formierung der Kolonie.
Nur einige, meist erdfarbene lebende Bausteine (LB's) wußten
noch nicht so recht, was sie anstellen sollten.
Es war für Josefa nicht schwer, sich vorzustellen, wie man nach der
Rückkehr auf die Erde über das Fotomaterial herfallen würde
.Im Moment interessierte sie das weniger. Rechtschaffen müde geworden,
legte sie sich in ihrem grünen Hemd mit blauem Kragen , also gut gelaunt,
zum Schlafen.
Zusammen mit Barbara setzte sie die Beobachtungen in der folgenden Nacht
fort. Daß sie auf Schlaf verzichten mußten, nahmen sie
gern in Kauf. Es würde sich lohnen! Sie legten die Spezialkamera bereit,
versuchten, die Erhebung ins Visier zu bekommen und warteten darauf,
was die Burgfestspiele' heute bringen würden.
Sie wurden nicht enttäuscht.
Nahezu alle LB's hatten in dieser Nacht einen Lichterkranz angelegt. Die
Kugeln erschienen als glühende Kreise gegen den schwarzen Horizont.
Unten gruppierten sich die größeren Kreise, nach oben zu wurden
sie kleiner. Die Burg glich nun einer Pyramide im Schattenriß.
Offensichtlich waren die Irritationen der vergangenen Nacht vergessen. ..
Was hatte das alles zu bedeuten? Licht und Regelhaftigkeit heute-Chaotisches
in vielen Farben Schillerndes gestern.
Lebhaft umkreisten die beiden Forscherinnen ihr Thema. Sie fanden viel
zu spät die Ruhe zum Schlafen und waren ganz froh, als Denise und Inge
, die beiden Azubis, am anderen Morgen daran erinnerten, daß
sie als Auszubildende nun endlich auch das Recht auf einen Erkundungsgang
ohne Begleitung hätten. Immerhin hatten sie in der Vorbereitung als
einzige erfolgreich das Kugeltrainingsprogramm überstanden. Ihrem Wunsch
nach Aktivität war nichts entgegenzusetzen.
So begaben sich die beiden Azubis also in die bereitstehenden
Kugeln und rollten auf grünem Grund in die Ungewißheit von Pento.
..
Gerade heute erschien ihnen die gewitterähnliche Atmosphäre der
Tage auf Pento besonders eindrucksvoll zu sein. Keine Kamera würde das
unwirkliche Licht wirklichkeitsgetreu wiedergeben können.
Die Beobachtungsaubeute der beiden Azubis bot , bei oberflächlichem
Hinsehen, ein ziemlich dürftiges Bild. Auf Pento nichts Neues. .Trotzdem:
Denise und ihre Begleiterin stellten sich eine berechtigte Frage. Warum gab
es auf Pento keine Friedhöfe?!
Sie hatten nichts dergleichen gesehen
Zerfielen die Kugeln nach Ablauf der Lebensspanne in nichts?
Wurde die Asche ins Weltall verstreut?
Denise sah voraus, daß solche Fragen zu erheblichen Kontroversen
führen würden..
Kontroversen gab es bei der nächsten Besprechung auf der Station.
Dem Ziel, LehrmeisterInnen für eine friedlichere Gesellschaft zu finden
,war man nicht nähergekommen. Das lag daran, daß die Pentasierinnen
nach der ersten Verbrüderung' recht zurückhaltend reagierten.
Die Kommunikation stagnierte. Sauerstoffvorräte nahmen bedrohlich ab.
Die Projektleiterin vertrat die Ansicht, daß ein vorzeitiger Abflug
so ziemlich das Dümmste war , was man tun konnte. Sie vermochte sich
nicht durchzusetzen.
So wurde gesammelt und eingepackt.
Die gesamte Projektgruppe hatte im Raumschiff Platz genommen, und soweit
wie möglich, sahen alle noch einmal auf die bekannte Erhebung, den
grünen Grund, die Farbspiele im Hintergrund. Enttäuschung stand
im Raum und den Gesichtern.
Es war wirklich und wahrhaftig buchstäblich in allerletzter Minute,
als eine der Forscherinnen die vier Kugeln bemerkte, die auf die Startrampe
zurollten.
Die vier Pentasierinnen schrieen' und sprühten die vielsagende
Farbe aus sich heraus: ROT.
Nun sahen es auch die anderen.
Alle wurden unruhig. Was hatte das zu bedeuteten?
Ohne jede Schwierigkeit überzeugte Josefa die Gruppe, daß man
den Aufenthalt verlängern müsse. Wenigstens einen Tag und eine
Nacht.
Mit allen nur verfügbaren Kugeln, insgesamt sechs, rollten alle zusammen
mit den Pentasierinnen zurück zur Kolonie und wartete auf die Nacht.
Was sich nun fast unmittelbar vor den Augen der sechs Forscherinnen abspielte,
übertraf bei weitem alles bisher Gesehene!
Es kam Bewegung in die Kolonie, eine unerklärliche Unruhe, die sich
auch auf die Außenstehenden übertrug. Ein Sirren lag in der Luft.
Die Erhebung wurde von Nebelschwaden umgeben. Alles, was sich abspielte,
glich einem Schattenspiel. Die Dreidimensionlität der LB's schien
aufgehoben.
Kreise bewegten sich aufeinander zu. Paarweise. Sie überlagerten sich
so, daß nur noch EIN Kreis zu sehen war. Die Erhebung schrumpfte
um fast die Hälfte. Es kam zu neuen Formationen
Stunden vergingen.
Wie gebannt, verharrten die sechs Forscherinnen an ihrem Platz. Und ihre
Ausdauer sollte belohnt werden. Geisterhaft schoben sich die Kreise
auseinander, teilten sich erneut und wieder und wieder. Sie bewegten sich.
dann aufeinander zu und überlagerten sich erneut. Es sah aus wie bei
einer hundertfachen Mondfinsternis. Und die Erhebung wuchs
zusehends .
Am Ende sah alles aus wie vorher, und es war nichts wie vorher!!
Lebte Pentasia noch? Wo waren ihre drei Schwestern?
Ungeheuerliches war geschehen. Neues war entstanden, ohne daß Altes,
Abgestorbenes zurückblieb. Eine Gesellschaft ohne Friedhöfe , ohne
Tod!
Mag sein, daß dies nicht alle sechs Forscherinnen gleich deutlich
durchschauten, als sie benommen und erschöpft auf die Station
zurückrollten.
Das Material wurde oberflächlich gesichtet, verpackt und Protokolle
sofort computergespeichert Ein Blick auf die Vorräte zum
Überleben im Weltraum machte deutlich: Die Gruppe hatte keine
Alternative:
Ihr Aufenthalt auf Pento war zu Ende.
Was würde kommen?
Sie alle würden nach ihrer Rückkehr viel Zeit zur Auswertung brauchen.
Arbeit auf Jahre hinaus schien gesichert. Nach ihrer Rückkehr
würde es Wissenschaftkongresse, religionswissenschaftliche Symposien,.
Kontroversen, Umdenkungsprozesse gigantischen Ausmaßes geben. Vielleicht.
Vielleicht aber ging man irdischerseits auch schnell zur Tagesordnung über.
Nachdenken über den Tod? Über eine Gesellschaft ohne eine solche
Erfahrung? Welchen nachprüfbaren Nutzen sollte das haben?
Josefa stellte sich die Gesichter der Forschungsgruppe Senghaas'.
vor, in deren Auftrag sie die Expedition Pento' unternommen hatten.
Niemand konnte behaupten, daß die Daten etwas zu einer friedlicheren
irdischen Gesellschaft beizutragen in der Lage wären.
So sah sie einem Empfang zu Hause nach einiger Überlegung mit ziemlich
gemischten Gefühlen entgegen.
Inzwischen hatten alle in der Rakete Platz genommen.
.
Die Projektleiterin gab das Signal zum Start. Alle schauten hinaus.
Kugeln rollten auf grünem Grund über die Startbahn.
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