Ihre Majestät der Zauberlehrling

Vor langer Zeit lebte ein König, der liebte seine Tochter sehr. Er tat alles für sie, was er ihr an den Augen ablesen konnte. Aber eines störte ihn doch: Ihre Briefe aus Mallorca waren voller Fehler. Sie wußte nicht, wann man ein Wort mit großen Anfangsbuchstaben schrieb oder wann ein Satz zu Ende war. Zwar verfaßte sie ihre Briefe auf der königlichen Schreibmaschine, aber auf jeder Seite hatte die Prinzessin wer weiß wie oft radiert. Stellte der Vater sie zur Rede , sagte sie: " Ich muß ja nicht schreiben. Wenn es Euch nicht paßt, wie ich schreibe, dann kann ich's auch lassen..."Der König wollte nicht auf Eleonores Briefe verzichten, denn sie waren schön zu lesen. Man konnte sich das Land so richtig vorstellen. Die weißen Villen und Hotels nach dem Meer zu ,die verfallenen Burgen, die bunten Strände, die roten Sonnenuntergänge So sann der König auf Abhilfe und ließ im ganzen Lande verkünden ,daß er einen Magier suche. Es mußte doch einen Weg geben, die Briefe seiner Tochter automatisch so zu verändern , daß er sie ohne Ärger lesen konnte. Oder: Vielleicht gab es ja auch eine automatische Rechtschreibmaschine?!

Nach drei Tagen fand sich ein junger Mann, der ihm so gefiel, daß er nicht wartete, bis sich der märchenübliche dritte Bewerber meldete. Der junge Magier hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit dem alten. Der hatte sich in den verdienten Ruhestand auf's Land zurückgezogen , war wohlbeleibt und ein bißchen faul. Es sei denn, er pflegte seinen Bart . Dazu brauchte er mehrere Stunden am Tage .Der Neue war groß und schlank und voll von jugendlichem Feuer: Man mußte ihm einfach zuhören."Ich habe da eine Maschine," sagte er,"die kann alles, was Ihr wollt, und noch viel mehr. Aber die Sache hat einen Haken. Ihr müßt lernen, mit der Maschine zu arbeiten. Ich kann nur drei Monate bleiben, denn ich bin auf dem Weg nach Isfahan, um noch mehr zu lernen." Sofort willigte der König ein und machte einen Vertrag über genau drei Monate.

Der junge Meister war sehr zufrieden mit ihrer Majestät, dem alten Lehrling.

Sehr schnell lernte der, die Rechtschreibhilfe richtig einzusetzen ; hatte er beim Tippen nicht aufgepaßt, dann benutzte er die Taste 'Entf' , und der Fehler war behoben. Wie würde sich Eleonore freuen! Er hatte besondere Freude, wenn er aus den hundert Schriftsorten, über die er verfügte, wählen konnte. Mit seinem jungen Meister stieg der alte König viele Treppen hinunter, wo er die vergilbten Briefe einer entfernten Verwandten , einem Fräulein Skandora von Scribera verwahrt hielt. Immer war es sein Traum gewesen, so schreiben zu können, wie dieses Fräulein .Die Lettern standen da wie Zinnsoldaten und waren doch wohltuend geformt. Der König war fleißig, und mit der Zeit sahen die Briefe, die er an seinen Freund , den König des Nachbarlands verfaßte, so wunderschön aus wie die des Fräuleins. Manchmal konnte er sich gar nicht von ihnen trennen.
Die Maschine und der junge Meister waren immer zu Diensten. D.h., was die Maschine anging, war das so eine Sache. Eines Tages, Ihre Majestät wußte nicht, wieso und warum schwirrten Wortfetzen, Satzfetzen wie wild auf dem Bildschirm der Maschine herum. Sie konnte nicht mehr zur Ordnung gebracht werden, und Ihre Majestät waren ganz verzweifelt-.Noch kürzlich beim Weihnachtsfest, das der König wie immer am ersten Weihnachtstag für seine Familie und die Großen im Reich gab, hatte die Maschine Tischkarten geliefert. Die waren sehr nützlich gewesen. Der Kanzler hatte zum ersten Mal nicht neben dem Finanzminister gesessen. Kein endloser lautstarker Disput über die Finanzen des Reichs Eine Wohltat für alle Gäste. Welch eine Ruhe!- Weihnachtliche Stille. Und jetzt, wenn der König an die unregierbare Maschine dachte, hätte er am liebsten nach dem silbernen Hammer gerufen. Das wäre wohl das Ende der Maschine gewesen. Aber die Königin saß neben ihm .Sie legte ihre Arbeit, eine wärmende Jacke ,die sie ihrem Gemahl für die augenblicklichen kalten Wintertage, an denen es im Schloß immer so erbärmlich zog, strickte, auf die Seite und strich ihm beruhigend über den rechten Arm. Das hatte immer gewirkt, und auch heute vergaß der König den silbernen Hammer.
Der junge Meister kam denn auch am nächsten Tag und versprach Abhilfe .Er erklärte:"Die Maschine hat einen Virus, das macht aber überhaupt nichts. Ich nehme den Rechner mit nach Hause, und Ihre Majestät werden sehen, die Maschine ist so gut wie vorher."
Das war auch dringend nötig, denn es waren noch sämtliche Tischkarten für das große Fest zur Ankunft der Prinzessin anzufertigen. Die Prinzessin hatte geschrieben, sie werde die nächste Kutsche nehmen und noch vor dem Wochenende zu Hause sein
Zum ersten Mal versah der König die Karten mit dem jeweiligen Bild des Gastes, denn er hatte gelernt, Bilder aus Büchern herauszunehmen und auf neues Papier zu übertragen. Das war echte Zauberei, und er wußte, daß man weit über den Hof hinaus noch lange von seinen neuen Künsten reden würde.
Prinzessin Eleonore kam denn auch pünktlich und machte die erwarteten großen Augen , als sie ihr Bild auf der Karte sah. Das alles sollte sie nun ebenfalls lernen, so hatte es der König beschlossen, und der Unterricht begann schon am nächsten Tag
Aber als der König das gut ausgearbeitete Grundsatzreferat zur Einführung in die Arbeit mit der 'Maschine' vortrug und seine Tochter danach erwartungsvoll ansah, bemerkte er, daß sie eingeschlafen war. Wie lange schon? Sie lächelte im Traum , und der König, der seine Tochter liebte, legte eine weiche Decke über sie und verließ leise den Raum-
Ein Jahr zog ins Land, ohne daß sich viel ereignete. Wenn man davon absieht, daß der junge Magier mit reichen Geschenken entlassen worden war. Er befand sich nun auf dem Weg nach Isfahan .
Im Spätherbst verbrachte die Prinzessin ihren Urlaub wieder auf Mallorca. Und wieder schrieb sie lange Briefe nach Hause. Leider jedoch enthielten die meisten Blätter die gleichen Fehler wie im vergangenen Jahr .Auf jeder getippten Seite hatte die Prinzessin mindestens drei mal radieren müssen .Aber die Briefe waren noch länger und schöner als sonst, und auffallend oft kam in den letzten Briefen ein gewisser Marco vor. Seltsam war , daß längst nicht alle Briefe der Prinzessin von Tippfehlern und wirklichen Rechtschreibefehlern wimmelten. Es gab sogar Briefe, die man mit Genuß lesen konnte und die den Vergleich mit denen des Fräuleins Scandora von Scriberi durchaus aushalten konnten. Der König brachte sie denn auch hinunter ins Archiv, aber er machte sich Gedanken darüber, wie diese beiden Briefsorten zu erklären seien.
Nachts wälzte er sich im Bett hin und her, kam aber der Lösung des Rätsels nicht näher. Schließlich meinte die Königin, es wäre wohl am einfachsten, wenn er  Eleonore direkt fragte. Gelogen hatte sie eigentlich noch nie, und so würde sie auch dieses Mal die Wahrheit schreiben. Bereits nach drei Tagen kam ein fein säuberlich verfaßter Antwortbrief im Schloß an. Da stand' s deutlich schwarz auf weiß: Marco hatte bei Eleonores Post geholfen!!!
Wer um alles in der Welt war nun aber dieser Marco??!!
Die Königin, die wie immer neben ihm saß als er den Brief las und seine Unruhe deutlich spürte, legte die Strickarbeit zur Seite, strich leicht über den rechten Arm ihres Mannes und sagte:"Daran mußt Du Dich gewöhnen. Das ist so der Lauf der Dinge. Am besten, wir laden Marco zum Weihnachtsfest hierher ein, dann lernen wir ihn kennen."Das kommt überhaupt nicht in Frage. Ich will den Marco oder wie auch immer er heißt, gar nicht sehen."So die unumstößliche Meinung des Königs.

Wie es nun kam, daß Marco dann doch zusammen mit Eleonore rechtzeitig zum Fest eintraf, verschweigen die Annalen.
Der König war sogar bereit gewesen, eine neue Tischkarte, eine für den Gast namens Marco, anzufertigen, aber eine richtige Weihnachtsstimmung kam nicht auf.
Seine Majestät wollten sich wegen königlicher Migräne gerade zurückziehen, da war zu hören, wie die gesamte Gesellschaft das Lied 'Stille Nacht' anstimmte. Es klang wunderschön, obwohl die Kammersängerin, die sonst immer die brummigen Stimmen von Kanzler und Finanzminister mit ihrem hellen Sopran übertönt hatte, für heute krankheitshalber abgesagt hatte. Danach sang noch jemand das gleiche Lied nach einer ganz anderen Melodie: Das war das Werk von Marco!
Der König wandte sich um, setzte sich wieder zur Weihnachtsgesellschaft, und es wurde dann doch noch ein schöner Abend mit vielen Liedern.
Anderntags suchte Eleonore ihren Marco und ihren Vater vergeblich im Salon.
Beide waren im Arbeitszimmer verschwunden. Der König hörte es gern, wie der Gast seine Tischkarten und Bilder bewunderte und war sehr erstaunt zu erfahren, daß man mit der 'Maschine' komponieren konnte, ohne eine Ahnung von Kompositionslehre oder Notenschrift zu haben.
Das mußte man lernen! Wen setzt es in Erstaunen, daß es für die folgenden Monate wieder einen jungen Meister und einen alten königlichen Zauberlehrling gab?
Mindestens tausend Lieder wurden mit Marcos- und der 'Maschine' Hilfe komponiert. Sehr viele von ihnen fanden per Dekret Platz in den im Reich gebräuchlichen Wanderliederbüchern und Gesangbüchern. Schließlich waren überall im Land königliche Lieder zu hören! Nun ja , wir wollen nicht vergessen: Marco hatte auch seinen Teil daran.
Zwei Jahre nach all diesen Ereignissen- Eleonore und Marco waren schon lange ein Paar- komponierten Marco und der König ganz neuartige Lieder Diese Lieder waren für die kleine Prinzessin Anna-Eleonore bestimmt. Und nur wenn Vater und Großvater sich an die Wiege setzten und sangen, schlief die Prinzessin ruhig ein.
Noch heute kann man die Lieder wieder zum Klingen bringen. Man braucht nur Geduld und Zeit, um im Archiv des Königreichs nach den 'Wiegenliedern für Anna-Eleonore' zu suchen. Und sehr viele Briefe aus Mallorca findet man dort auch...
 
 


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